Die Wahrheit
wünschte Michael sich plötzlich, sein großer Bruder würde erscheinen, um ihm zu helfen. Bedrückt beobachtete er, wie Rayfield ihm die Papiere gab und dem Wächter bedeutete, den Raum zu verlassen. Als Michael die Papiere an sich drückte, blickte Rayfield ihn entschuldigend an.
»Ich befürchte, meine Männer waren ein wenig übereifrig«, sagte er. »Normalerweise fotokopieren wir keine Dokumente, die sich in einem verschlossenen Umschlag befinden.« In Wirklichkeit hatte Rayfield den Umschlag selbst geöffnet und den Inhalt kopiert. Keiner seiner Leute hatte die Papiere gesehen.
Michael warf einen Blick auf die Unterlagen. »Das verstehe ich nicht. Der Umschlag war doch noch verschlossen.«
»Das ist ein handelsüblicher Umschlag. Sie haben die Papiere einfach in einen neuen gesteckt und diesen dann zugeklebt.«
Michael verfluchte sich stumm, daß er nicht auf so einen offensichtlichen Trick gekommen war.
Rayfield kicherte leise.
»Was ist so komisch daran?« fragte Michael.
»Rufus Harms hat mich jetzt bereits das fünfte Mal in einer an den Haaren herbeigezogenen Klage benannt, Mr. Fiske. Was bleibt mir anderes übrig, als darüber zu lachen?«
»Wie bitte?«
»Er hat sich bislang noch nie an den Obersten Gerichtshof gewandt. Und Sie arbeiten dort, nicht wahr?«
»Diese Frage muß ich nicht beantworten.«
»Wie Sie möchten. Aber falls Sie dort arbeiten, ist Ihre Anwesenheit hier ein wenig ungewöhnlich.«
»Das ist meine Sache.«
»Und es ist meine Sache, dieses Gefängnis auf militärisch korrekte Art und Weise zu leiten«, erwiderte Rayfield scharf. Dann aber wurde seine Stimme wieder weicher. »Aber ich mache Ihnen keine Vorwürfe. Harms ist gerissen. Sieht so aus, als hätte er diesmal seinen alten Militäranwalt überredet, ihm zu helfen. Na, Sam Rider hätte es besser wissen sollen.«
»Sie behaupten, Rufus Harms hat es sich zur Gewohnheit gemacht, unsinnige Klagen einzureichen?«
»Halten Sie das bei Häftlingen für so ungewöhnlich? Diese Leute haben einfach zuviel Zeit. Stellen Sie sich vorletztes Jahr hat Rufus den Präsidenten der Vereinigten Staaten, den Verteidigungsminister und mich beschuldigt, in eine Verschwörung verwickelt zu sein, bei der ihm ein Mord in die Schuhe geschoben werden sollte. Ein Mord, den er nachweislich begangen hat. Dafür gibt es mindestens ein halbes Dutzend Zeugen.«
»Wirklich?« Michael schaute skeptisch drein.
»Ja, wirklich. Die Klage wurde schließlich abgewiesen, aber es hat die Regierung mehrere tausend Dollar an Anwaltszeit gekostet. Ich weiß, daß die Gerichte jedem offenstehen, Mr. Fiske. Aber eine falsche Anklage ist eine falsche Anklage, und ehrlich gesagt, ich bin diese Belästigungen allmählich leid.«
»Aber in seiner Petition hat er geschrieben .«
»Ja, ich habe sie gelesen. Vor zwei Jahren hat er behauptet, er sei während einer Kampfhandlung Agent Orange ausgesetzt worden, und das hätte ihn zu dem Mord veranlaßt. Wissen Sie was? Rufus Harms wurde niemals Agent Orange ausgesetzt, denn er hat nie an einer Kampfhandlung teilgenommen. Er hat die meiste Zeit seiner zweijährigen Laufbahn bei der Army wegen Insubordination und anderer Vergehen im Bau verbracht. Es ist kein Geheimnis - überprüfen Sie es, wenn Sie wollen. Das heißt, falls Sie es nicht schon getan haben.« Er schaute Michael an, und der senkte den Blick. »Und jetzt nehmen Sie Ihren Papierkram, fahren nach Washington zurück und lassen alles seinen normalen Gang gehen. Die Klage wird abgewiesen, wie alle vorherigen auch. Ein paar Unschuldige wird man in gewaltige Verlegenheit bringen, aber so ist nun mal das amerikanische System. Deshalb habe ich wohl für dieses Land gekämpft: um alle seine Freiheiten zu erhalten. Auch, wenn sie mißbraucht werden.«
»Sie lassen mich einfach gehen?«
»Sie sind hier kein Häftling. Ich muß mich um eine Menge schwerer Jungs kümmern, unter anderem auch um den, der gerade drei meiner Wächter zu Brei geschlagen hat. Einer meiner Männer wird Ihnen einige Fragen stellen, die Sie beantworten müssen, und zwar darüber, was im Besucherraum passiert ist. Wir benötigen Ihre Antworten für unseren Bericht über diesen Zwischenfall.«
»Bedeutet das, die Sache wird zu den Akten genommen? Einschließlich meines Besuchs hier und so weiter?«
»Allerdings. Es war Ihre Entscheidung, hierherzukommen, nicht meine. Nun müssen Sie mit den Konsequenzen leben.« »Ich weiß. Aber damit habe ich nicht gerechnet.«
»Tja, das Leben ist
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