Die Wahrheit
von der Army stand. Du weißt nicht, was für neue Informationen Fiske oder Rider mittlerweile aufgetrieben hat. Und Rider arbeitet seit dreißig Jahren als Anwalt. Er wird nichts eingereicht haben, was er für belanglos hält, nicht beim Obersten Gericht. Und vielleicht hast du es noch nicht mitgekriegt, aber die Assessoren am Obersten Gericht sind alles andere als blöd. Fiske ist nicht den ganzen Weg bis zu euch gefahren, weil er Harms für verrückt hält. Nach allem, was du mir erzählt hast, wird in diesem Brief ja ziemlich genau beschrieben, was damals passiert ist.«
»Allerdings«, gestand Rayfield ein.
»Da hast du’s. Aber das ist nicht das größte Loch in dieser Sache. Vergiß nicht, Harms ist kein Häftling, der ständig Anwälte in Marsch setzt. Er hat nie einen anderen Berufungsantrag gestellt. Wenn Fiske deine Behauptung überprüft, wird er herausfinden, daß du gelogen hast. Und Fiske wird es überprüfen, davon muß ich ausgehen. Und dann kommt alles raus.«
»Ich hatte ja kaum Zeit, mir irgend etwas einfallen zu lassen!« sagte Rayfield hitzig.
»Das behaupte ich ja auch gar nicht. Aber indem du gelogen hast, hast du Fiske praktisch mit Munition versorgt. Und wir haben noch ein Problem.«
»Und welches?«
»Alles, was Harms in seiner Berufung behauptet hat, scheint der Wahrheit zu entsprechen. Hast du das vergessen? Mit der Wahrheit ist es eine seltsame Sache. Man fängt hier und da zu graben an, und plötzlich stürzt das ganze Lügengebäude ein. Und weißt du, wo die Trümmer hinfallen werden? Willst du dieses Risiko wirklich eingehen? Denn wenn dieses Gebäude tatsächlich einstürzt, wirst du deinen Ruhestand an einem nicht besonders gemütlichen Ort verbringen. Und zwar in Fort Jackson. Aber diesmal auf der anderen Seite der Zellentür. Wie hört sich das an, Frank?«
Rayfield atmete müde aus und schaute auf seine Uhr. »Verdammt, Vietnam wäre mir tausendmal lieber als das jetzt.«
»Wir alle sind wohl ein bißchen zu bequem geworden. Na ja jetzt ist es an der Zeit, daß du dir dein Geld verdienst, Frank. Du und Tremaine, ihr müßt das erledigen. Und wenn ihr euch schon darum kümmert, denkt immer daran: Wir überleben das gemeinsam, oder wir gehen gemeinsam unter.«
Als eine halbe Stunde später die Befragung durch Rayfields Adjutanten beendet war, verließ Michael das Gefängnisgebäude und ging durch den leichten Regen zu seinem Wagen. Was für ein Trottel war er doch gewesen. Am liebsten hätte er die Berufungspapiere zerrissen, aber das würde er nicht tun. Vielleicht würde er sie in die Poststelle zurückschmuggeln. Rufus Harms tat ihm noch immer leid. Das Vierteljahrhundert in diesem Gefängnis hatte seinen Tribut gefordert.
Als Michael vom Parkplatz fuhr, konnte er nicht wissen, daß der Großteil seines Kühlerwassers in einen Eimer abgelassen und ganz in der Nähe im Wald ausgeschüttet worden war. Fünf Minuten später beobachtete er bestürzt den heißen Dampf, der unter der Motorhaube seines Wagens hervorquoll. Er stieg aus, öffnete vorsichtig die Haube und sprang dann zurück, als die Dampfwolke ihn für einen Augenblick umhüllte. Zornig fluchend, schaute er sich um: kein Wagen, kein Mensch waren zu sehen.
Michael dachte kurz nach. Er konnte zum Gefängnis zurückgehen, dort telefonieren und sich von einer Werkstatt einen Abschleppwagen schicken lassen. Wie aufs Stichwort wurde der Regen stärker.
Als Michael nach vorn schaute, hob sich seine Laune. Aus Richtung Gefängnis näherte sich ein Lieferwagen. Michael winkte heftig, um ihn anzuhalten. Dabei schaute er wieder zu seinem Wagen, aus dessen Motorraum noch immer Dampf quoll. Komisch - dabei hatte er ihn extra in die Werkstatt gebracht, um ihn für diese Fahrt durchchecken zu lassen. Als Michael wieder zu dem Lieferwagen schaute, schlug sein Herz plötzlich schneller. Er blickte sich hastig um; dann wirbelte er herum und rannte los. Das Fahrzeug beschleunigte, überholte Michael kurz darauf und versperrte ihm den Weg. Er wollte gerade in den Wald laufen, als das Fenster heruntergekurbelt und eine Pistole auf ihn gerichtet wurde.
»Steigen Sie ein«, befahl Victor Tremaine.
KAPITEL 15
Am Samstagnachmittag fuhr Sara Evans zu Michaels Wohnung und schaute sich die Wagen an, die am Straßenrand standen. Michaels Honda war nicht darunter. Er hatte sich am Freitag krankgemeldet, was noch nie vorgekommen war. Sara hatte bei ihm zu Hause angerufen, doch er war nicht ans Telefon gegangen. Sie stellte den Wagen
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