Die Wahrheit
Person, mit der er sprach, war in Rufus’ Brief gar nicht erwähnt worden, aber das würde Rayfield dem Mann nicht auf die Nase binden. Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. »Woher soll ich das wissen? Er hatte fünfundzwanzig Jahre Zeit, darüber nachzudenken.«
»Und wie ist der Brief rausgekommen?«
»Das verstehe ich allerdings auch nicht. Der Wächter hat sich den verdammten Umschlag angesehen. Rufus’ Testament war darin, mehr nicht.«
»Aber er hat das Schreiben irgendwie rausgekriegt.«
»Sam Rider ist in die Sache verwickelt. Das ist sicher. Er hatte ein Radio mitgebracht, und wegen der Musik konnte die Wanze, die wir installiert haben, nicht richtig arbeiten. Deshalb konnte ich nicht hören, was Harms und Rider gesprochen haben. Spätestens da hätte ich merken müssen, daß irgendwas im Busch ist.«
»Ich habe dem Typen nie vertraut. Hätte Rider damals nicht die geistige Unzurechnungsfähigkeit ins Spiel gebracht, wäre Harms jetzt schon lange tot. Dafür hätte die Army gesorgt.« »Der zweite Brief, den wir in Fiskes Aktenkoffer gefunden haben, wurde mit der Maschine geschrieben. Unten standen keine Initialen ... du weißt schon, wie wenn eine Sekretärin den Brief getippt hat. Also hat Rider ihn wahrscheinlich selbst geschrieben. Übrigens handelte es sich in beiden Fällen um die Originale.«
»Verdammt, warum jetzt? Nach so langer Zeit?«
»Harms hat einen Brief von der Army bekommen. In der Klage, die er eingereicht hat, nimmt er darauf Bezug. Vielleicht hat das seinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen. Ich kann dir versichern - bis jetzt hat er sich nicht daran erinnert, was passiert ist. Oder er hat es fünfundzwanzig Jahre lang für sich behalten.«
»Warum sollte er? Und, verdammt noch mal, warum schickt die Army ihm nach so langer Zeit einen Brief?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Rayfield nervös. Doch in Wahrheit wußte er es. Der Grund dafür war in Rufus’ Petition erwähnt worden. Aber er zog es vor, diese Karte erst einmal im Ärmel zu behalten.
»Und diesen geheimnisvollen Brief von der Army hast du natürlich nicht, oder?«
»Nein. Ich meine, noch nicht.«
»Er muß in seiner Zelle sein, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie er durchgerutscht ist.« Die Stimme klang wieder vorwurfsvoll.
»Manchmal glaube ich, der Bursche kann zaubern«, sagte Rayfield.
»Hat er noch anderen Besuch gehabt?«
»Nur von seinem Bruder, Josh Harms. Er kommt etwa alle vier Wochen.«
»Und was ist mit Rufus?«
»Sieht so aus, als hätte es ihn endlich erwischt. Schlaganfall oder Herzinfarkt. Selbst wenn er durchkommt, wird er nicht mehr der Alte sein.« »Wo ist er jetzt?«
»Unterwegs zum Krankenhaus in Roanoke.«
»Verdammt noch mal, warum hast du ihn rausgelassen?«
»Der Arzt hat es angeordnet. Er ist verpflichtet, das Leben des Mannes zu retten, ob nun Häftling oder nicht. Hätte ich was anderes angeordnet, hätte es noch mehr Argwohn erregt, meinst du nicht auch?«
»Na ja, bleib am Ball und bete, daß sein Herz schlapp macht. Wenn nicht, sorg dafür.«
»Jetzt hör aber auf. Wer würde ihm schon glauben?«
»Du wärst überrascht. Was ist mit diesem Michael Fiske? Er ist der einzige außer Rider, der es weiß?«
»Ja. Jedenfalls gehe ich davon aus. Er ist hierhergekommen, um Harms’ Geschichte zu überprüfen. Er hat es niemandem verraten. Zumindest hat er Harms das gesagt. Tja, da hatten wir noch mal Glück«, sagte Rayfield. »Ich habe einen ziemlichen Zirkus gemacht, daß Harms ein chronischer Stänkerer ist und ständig Anwälte vor die Gerichte schickt. Ich glaube, Fiske hat es mir abgekauft. Außerdem haben wir ein Druckmittel gegen ihn in der Hand. Er könnte gewaltigen Ärger bekommen, weil er überhaupt hergekommen ist. Ich glaube nicht, daß er den Berufungsantrag weitergibt.«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung wurde um ein paar Dezibel lauter. »Bist du verrückt geworden? Fiske darf in der Sache gar keine Wahl haben!«
»Um Himmels willen, er ist Assessor am Obersten Gerichtshof. Ich habe gehört, wie er es Harms gesagt hat.«
»Das weiß ich. Verdammt, das weiß ich nur allzu gut. Aber ich werde dir genau sagen, was du tun wirst. Du wirst dich um Fiske und Rider kümmern. Und zwar pronto.«
Rayfield erbleichte. »Du willst, daß ich einen Assessor des Obersten Gerichtshofs und einen stadtbekannten Anwalt umbringe? Komm schon, sie haben keine Beweise. Sie können uns nichts anhaben.«
»Das weißt du nicht. Du weißt nicht, was in dem Brief
Weitere Kostenlose Bücher