Die Wall Street ist auch nur eine Straße
war. Ich glaube nicht, dass die Leute bei Moody’s, die alle diese AAA-Ratings erteilten, wirklich der Meinung waren, hier sei eine bösartige Verschwörung im Gang. Für die meisten ging es um ihre Jobs. Leute auf den höchsten Ebenen unterstützten, was sie taten. Der Chairman der Fed, der Finanzminister – jeder sagte ihnen, der Häusermarkt sei sicher. Greenspan drängte die Amerikaner, Kredite aufzunehmen, und ermutigte die Banken, Derivate zu schaffen. Er betrachtete dies als eine Möglichkeit, mehr Geld ins System zu bekommen, und überzeugte jeden davon, das sei gut für unser Land. Fannie Mae erklärte, an diesem Zeug gäbe es nichts auszusetzen. Die Wall Street glaubte tatsächlich, die Händler bei Fannie Mae seien schlauer als alle anderen. Die ganze Sache nährte sich selbst. Greenspan erhielt seine Informationen von CNBC, der Sender bekam sie von irgendeiner Regierungsbehörde, die sie wahrscheinlich von Greenspan selbst hatte.
Chuck Prince, der Chef der Citibank, sagte 2007 der Financial Times: »Solange die Musik spielt, muss man aufstehen und tanzen. Wir tanzen immer noch.« Ich glaube nicht, dass Prince eine Ahnung hatte, was die Leute in seinem Unternehmen eigentlich taten.
Ja, einige Leute hätte man ins Gefängnis stecken sollen. Man kann sich kaum vorstellen, dass Franklin Raines bei Fannie Mae nicht wusste, dass er sich betrügerisch verhielt. In jedem Quartal, Jahr für Jahr, verkündete er einen Gewinnanstieg um 15 Prozent. Ich kenne mich genug mit Investments aus, um zu wissen, dass es unmöglich ist, solche Zahlen rechtfertigen zu können. Trotzdem stellte die Wall Street, wo man riesige Summen durch den Verkauf von Anleihen des Unternehmens verdiente, diese Behauptungen nie infrage. Und wer es tat, verlor wahrscheinlich seinen Job. Hätte ich in dieser Hinsicht etwas zu sagen, dann wäre Raines 2008 im Gefängnis gesessen, statt – wider jede Vernunft – von den Obama-Wahlkämpfern nach seiner Meinung gefragt zu werden. Wäre es nach mir gegangen, dann hätte Stan O’Neal, der frühere Chef von Merrill Lynch, im Bundesgefängnis Leavenworth seine Strafe abgesessen, statt 160 Millionen Dollar Abfindung von dem Unternehmen zu kassieren, an dessen Ruin er beteiligt war.
Das ist schon seit Jahrtausenden so, und die Geschichte hält zahllose Beispiele dafür bereit. Tatsache ist, dass Menschen gierig werden – Banker, Geistliche, Akademiker, Politiker … –, vor allem, wenn die Zeiten außergewöhnlich gut sind. Die Leute schummeln, tun Dinge, die sie unter normalen Umständen nicht tun würden, und weil die Zeiten gut sind, weil es so viel Wohlstand gibt, werden sie nicht zur Rechenschaft gezogen. Aktienkurse steigen. Investitionen zahlen sich aus. Tatsächlich verdienen die Leute mit ihren Schummeleien sehr viel Geld. Niemand stellt Fragen oder interessiert sich auch nur dafür, was passiert ist – die Leute sind so glücklich mit all dem Geld, das sie verdient haben.
Manien überdecken zahlreiche Sünden.
»Erst bei Ebbe sieht man, wer nackt schwimmt«, sagte Warren Buffett einmal.
In der Folge der Großen Depression, im Jahr 1938, wurde Richard Whitney, Präsident der New York Stock Exchange und Angehöriger der ehrbaren Familie, nach der das Whitney Museum of American Art benannt ist, verhaftet und wegen Veruntreuung angeklagt. Er bekannte sich schuldig und verbrachte mehr als drei Jahre in Sing Sing. Wären die Aktienkurse weiter gestiegen, dann hätte dies niemand bemerkt oder sich darum gekümmert, weil ja jeder so viel Geld verdiente. Vergleichbares passierte 2001 bei Enron. Finanzchef Andrew Fastow wurde von seinen Kollegen gelobt, weil er kreative Wege gefunden hatte, die Verluste des Unternehmens zu verbergen. Er war ein Held des Unternehmens, bis die Situation an der Wall Street ungemütlich wurde. Die SEC deckte damals auf, dass er und seine Kollegen bei Enron die Öffentlichkeit betrogen (und dass Fastow gleichzeitig auch noch seine Kollegen betrog). Er bekannte sich schuldig und wanderte zusammen mit seinen Mitverschwörern in der Firma, die er sofort verriet, ins Gefängnis.
Das passiert nicht nur im Geschäftsleben. In den 1960er-Jahren, in dem Amerika, das ich kannte, war es unvorstellbar, einen katholischen Priester irgendeiner Art des Fehlverhaltens zu beschuldigen. Wer das getan hätte, wäre ignoriert, wenn nicht sogar verachtet worden. Aber als der Einfluss der Kirche zunehmend zurückging, standen die Menschen nicht mehr so ablehnend der Idee
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