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Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Titel: Die Wall Street ist auch nur eine Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Rogers
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zum Ende der sechsten Klasse zweisprachig lernen. In Happys Schule, Nanyang Primary, ist die Muttersprache Mandarin. Jeweils eine Woche lang wird in englischer Sprache unterrichtet, während der folgenden Woche in Mandarin. Die Sprache hängt auch vom Schulfach ab. Mathematik wird auf Englisch unterrichtet, Gemeinschaftskunde auf Mandarin. Baby Bee, die jetzt vier Jahre alt ist, besucht den Nanyang-Kindergarten. Dort wird nur Mandarin gesprochen, kein Englisch. Ihre drei Lehrerinnen, die erst vor Kurzem aus China eingewandert sind, beherrschen im Prinzip auch nur diese eine Sprache. Das Schöne daran, wenn man erst vier Jahre alt ist: Wenn man kein Mandarin spricht, schnappt man es innerhalb von ein paar Wochen auf. Bei kleinen Kindern läuft das eben so.
    Es war gar nicht so einfach, die Kinder in Nanyang einzuschreiben. Der Besuch dieser Schule war sehr begehrt, nicht zuletzt wegen des hohen Ansehens der Rektorin, Madam Heng. Auch der Bildungsminister schickte seine Kinder in diese Schule. Paige und ich nahmen an einem Treffen teil, bei dem es um die Anmeldung für die erste Klasse der Grundschule ging. Madam Heng erklärte den interessierten Eltern, wie schwierig es sei, an ihrer Schule zugelassen zu werden. Wir waren die einzigen Weißen im Zimmer. Die Ausländer in Singapur tendierten dazu, ihre Kinder internationale Privatschulen besuchen zu lassen, wo deren Muttersprache gesprochen wurde. Wir aber waren völlig überzeugt, dass Happy, unsere kleine, blauäugige Blondine, die perfekt Mandarin sprach, sofort aufgenommen würde. Wenn schon nichts anderes, dann würden die kulturelle Diversität und das Bedürfnis der Schule nach räumlicher Streuung – die Dinge, die für meine Aufnahme in Yale so hilfreich gewesen waren – ins Spiel kommen.
    Madam Heng beeindruckte uns mit ihrer Intelligenz, ihrem Hang zur Disziplin und der Aufnahme der chinesischen Kultur in den Lehrplan. Als wir mit ihr sprachen, erinnerte sie uns höflich daran, dass es in Singapur zahlreiche gute Schulen gebe, und riet uns, sie alle anzusehen. Das war ihre Art und Weise, uns mitzuteilen, dass wir uns keine zu großen Hoffnungen machen sollten. Wie sie es bereits in ihrer Präsentation dargelegt hatte: »In Singapur gibt es Regeln, und wir halten uns an die Regeln. Als Singapurer wissen wir alle, wie das funktioniert.« Für uns war klar, dass Madam Heng und die Singapurer ganz allgemein sich nicht im Geringsten dafür interessierten, wie es in Yale oder Princeton zuging. Zu den Regeln, denen wir gern gerecht wurden und die schließlich auch zu Happys Aufnahme führten, gehörte, dass die Familie in der Nähe der Schule wohnte und dass sich die Eltern dazu verpflichteten, regelmäßig ehrenamtliche Leistungen für die Schule zu erbringen. Paige wurde also Elternfreiwillige und arbeitete dann in der Abteilung für Englisch und im Programm der vorlesenden Mütter. Ich hielt Vorträge vor der Belegschaft und half dabei, Spenden zu generieren. Wir zogen aus unserer Wohnung in der Stadtmitte in ein Haus, das weniger als einen Kilometer von der Schule entfernt lag.
    Chinesisch ist eine tonale Sprache; das ist nicht gerade meine Stärke, ebenso wenig wie Musik. Als ich Paige erstmals in Harlem zum Tanzen ausführte, fragte sie: »Warum hältst du den Takt nicht?« Ich sagte: »Ich wusste nicht, dass es da einen Takt gibt. Welchen Takt?« Das führte dazu, dass immer sie führte, wenn wir tanzten. Und wenn sie mit jemand anderem tanzte, tat sie das instinktiv ebenfalls – die Männer mussten sie daran erinnern, ihnen die Führung zu überlassen. Mandarin kennt vier verschiedene Tonlagen. Zum Beispiel kann man sagen: »Ich möchte Sie meiner Mutter vorstellen.« Wenn man dabei aber die falsche Tonlage erwischt, kommt dabei heraus: »Ich möchte Sie meinem Pferd vorstellen.« Weil ich diese Tonlagen nicht unterscheiden kann, bleibe ich meist bei monotonem Englisch. Aber wenn es notwendig ist, kann ich mich auch auf Mandarin verständigen. Die ersten Wörter, die ich in China lernte, waren die für »kühles Bier«.
    Natürlich gibt es in China zahlreiche regionale Dialekte, und daher können nicht alle Chinesen miteinander sprechen. Allerdings können sie einander schreiben, denn die Schriftsprache ist für alle gleich. Manchmal kann man beobachten, wie sie versuchen, sich miteinander auf Englisch zu verständigen, während sie chinesische Schriftzeichen austauschen. Aber damit sind sie nicht allein auf der Welt: Haben Sie jemals gesehen, wie ein

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