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Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Titel: Die Wall Street ist auch nur eine Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Rogers
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gegenüber, dem Klerus auch Fragen zu stellen und vor allem echte Antworten zu erwarten. Erst als die säkulare Welt in den Machtbereich der Priesterschaft eindrang, als die Zeiten härter wurden und die Pfarreien austrockneten, identifizierten die Menschen die kirchliche Hierarchie als einen Raum, in dem Sexualstraftätern aktiv Schutz gewährt wurde. Erst dann hatten die Menschen keine Angst mehr, wenn sie sagten: »Diese Leute sind wirklich Drecksäcke.«
    Kriminelles Verhalten ist nicht auf das Geschäftsleben beschränkt, und es ist auch nichts Neues. Es war schon immer da. Ebenso wie die Inkompetenz. Beides sollte man nicht belohnen. Wirtschaftsflauten sind unvermeidlich. Seit der Gründung unserer Republik sind sie regelmäßig aufgetreten. Einer dieser üblichen Rückgänge ereignete sich 2002. Der Abschwung, der 2007/2008 begann, war viel schlimmer, weil die Staatsverschuldung enorm angestiegen war. Was wird Amerika beim nächsten Mal tun? Wir können unsere Verschuldung nicht noch einmal vervierfachen. Wir können nicht schon wieder Unmengen Geld drucken. Werden wir noch einmal davonkommen? Ich bezweifle es. Bestimmt nicht noch zwei Mal. Irgendwann in diesem Jahrzehnt wird das gesamte System zusammenbrechen. Als es 1907 zusammenbrach, konnte es gerettet werden, weil die USA eine aufstrebende Nation waren. Sie wurden vom Schuldner zum Gläubiger und bewegten sich in einer ansteigenden Kurve. Jetzt sind sie ein Schuldner in einer absinkenden Kurve. Wenn die Regierung 2008 die Pleite der Verlierer zugelassen hätte, wären Sicherheitsnetze ins Spiel gekommen. Damals war die Regierung noch solvent genug. Die nächsten drei Jahre wären schrecklich gewesen, aber heute hätten wir uns erholt. Doch diese Chance ist verstrichen. Wenn das noch einmal passiert, wird nicht genug Geld da sein – und nicht annähernd genug Vertrauen in die Regierung. Adam Smith sagte, es sei sehr schwer, ein Land in den Bankrott zu wirtschaften, aber wir sind auf diesem Weg schon recht weit fortgeschritten.
    Vor 2008 standen 800 Milliarden Dollar in den Büchern der Fed, hautsächlich in Form von Staatsanleihen. Seither hat sich der Schuldenstand fast vervierfacht, und der größte Teil dessen, was in der Bilanz steht, ist Müll. Irgendjemand wird das bezahlen müssen. Und wer wäre da ein besserer Kandidat als der amerikanische Steuerzahler? Bernanke erklärte, er werde weiterhin Not leidende Assets aufkaufen. So stellt er den Niedergang der Zentralbank sicher. Wenn die Lage schnell genug schlecht genug wird, könnten wir die Federal Reserve abschaffen, ehe sie kollabiert. In der Geschichte der USA gab es schon drei Zentralbanken. Die ersten beiden sind verschwunden. Und die dritte wird zweifellos ebenfalls scheitern.
    Kapital glaubt an nichts. Das ist eine der Wahrheiten des Systems, in dem wir alle leben. Kapital interessiert sich nur für Sicherheit und die beste Rendite. Manche kritisieren das als Beweis für die Übel des Kapitalismus. Gut, vielleicht ist das so. Aber so funktioniert die Welt nun einmal seit Tausenden von Jahren. Und niemand weiß das besser oder schätzt es mehr als die Kapitalisten, die die jüngste Hausse bis zum Zusammenbruch getrieben haben. Alle sollten scheitern dürfen. Je mehr von ihnen das Schicksal von Lehman Brothers geteilt hätten, desto besser wäre es für das System gewesen.
    Der frühere Astronaut Frank Borman, damals CEO von Eastern Airlines, drückte es so aus: »Kapitalismus ohne Bankrotte ist wie Christentum ohne Hölle.«

10. Die Reise in den Osten
    Happy war vier Jahre alt, als wir nach Asien zogen, aber als wir anfingen, dort nach einem Haus für uns zu suchen, war sie erst zwei Jahre alt. Wir verbrachten den Sommer 2005 in Schanghai, das – auf dem Papier – unsere erste Wahl darstellte, weil es meiner Meinung nach die nächste großartige Stadt auf der Welt sein würde. Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Börse Schanghai der größte Aktienmarkt Asiens, der größte zwischen New York und London. Die Stadt war damals ein lebhaftes, boomendes Zentrum der Künste, der Kultur und der Finanzen. Der Krieg ruinierte das alles, Mao machte es noch schlimmer, aber Paige und ich hatten uns sechs Jahre zuvor bei unserer Millennium-Tour dort aufgehalten, und uns war klar, dass Schanghai jetzt die richtige Stadt für uns sein würde.
    Als ich 1988 durch China fuhr, hatte ich die Börse in Schanghai besucht. Sie lag an einer ungepflasterten Straße in einem ziemlich heruntergekommenen Gebäude. Ihre

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