Die Wall Street ist auch nur eine Straße
der Nation erklärte, warum Mitglieder von al-Qaida am 11. September 2001 die USA angegriffen hätten, erzählte er uns: »Sie hassen unsere Freiheitsrechte …« Lassen Sie uns zunächst die schiere Dummheit seiner Analyse ignorieren und lieber seine Reaktion auf die Terroristen betrachten. Er tat den Terroristen einen Gefallen. Im Kontext seiner eigenen Argumentation traf er die Entscheidung, ihnen das zu geben, was sie wollten. Innerhalb von sechs Wochen nach der Attacke unterzeichnete Bush Gesetze, die den Amerikanern Freiheitsrechte wegnahmen, die sie seit über 200 Jahren genossen hatten. Genau die Freiheiten, die die Terroristen seiner Meinung nach hassten.
Der Patriot Act, das Gesetzespaket, das Bush förderte, dem er Gesetzeskraft verlieh und unter dessen Einschränkungen wir Amerikaner heute leben, beinhaltet all die Vorschriften, mit denen die Dschihadisten von al-Qaida enorm vertraut sind. Der Patriot Act enthält all die Statuten, die in den Ländern herrschen, wo sie leben, wo das Vorenthalten von Rechten durch die Regierung Terroristen wie sie hervorbringt. Jetzt leben auch wir in einem Land mit drahtlosen Abhörgeräten, sinnlosen Untersuchungen und Beschlagnahmungen, zeitlich unbegrenzter Inhaftierung und institutionalisierter Folter. Genau wie sie. Jetzt haben auch wir einen Überwachungsapparat, die Behörde mit der unheilvollen Bezeichnung Department of Homeland Security.
Haben Sie ein Problem mit einem Ihrer Nachbarn? Ihnen gefällt der Geruch seines Essens nicht? Dann rufen Sie Homeland Security an und sagen, der Kerl verhalte sich seltsam. Die Regierung wird ihn für fünf, sechs Jahre in Guantanamo verschwinden lassen, ihm einige Fragen stellen, und Sie haben für eine Weile Ihre Ruhe vor ihm. Ein amerikanischer Staatsbürger? Das interessiert niemanden. Der CIA lenkte im September 2001 im Jemen Drohnen auf zwei amerikanische Staatsbürger. Schuldig? Vielleicht. Man wird es nie erfahren. Keine Verhaftung, kein Rechtsanwalt, keine Geschworenen, keine Verhandlung … Es gibt heute ein geheimes Komitee, das diese Dinge regelt. Im Land der Freien ist eine neue Zeit angebrochen.
Natürlich gab es in der amerikanischen Geschichte Lynchmobs; unschuldige Menschen wurden vom Staat und vom Mob verfolgt. Aber zumindest in der Theorie, wenn auch nicht immer in der Realität, bestand ein Schutzmechanismus gegen eine solche Verfolgung. Zumindest in der Theorie war es der Regierung verboten, sogar schuldige Menschen ohne Gerichtsverhandlung hinzurichten. Die Veränderung besteht nicht darin, dass die Regierung ihre Befugnisse überschritten hätte – Abraham Lincoln suspendierte sogar die Habeas-Corpus -Regelung –, sondern dass dieses Verhalten akzeptabel geworden ist und in manchen Fällen sogar gefeiert wird.
Ich habe gelernt, der Regierung zu misstrauen – was ich jedem Amerikaner empfehle –, und meine Skepsis ist schon seit mindestens 45 Jahren evident. Als ich 1967 die Schule für Offiziersanwärter in Fort Lee, Virginia, besuchte, nahm ich mit ungefähr 100 000 anderen Demonstranten am berühmten Marsch auf das Pentagon teil. Ich fürchte allerdings, dass meine Skepsis nur ein Problem meiner Generation ist. Die Generation meines Vaters, so kam es mir jedenfalls vor, glaubte alles, was man ihr erzählte. Und die jungen Erwachsenen von heute erinnern mich mehr an die Generation meines Vaters als an meine. Die Amerikaner glauben heute zwar nicht alles, was die Regierung ihnen sagt, aber irgendwie haben sie auch nicht das Bedürfnis, es zu glauben. Von den Gefallenenzahlen des Vietnamkriegs bis zu den ebenso fiktiven Rechtfertigungen der Invasion im Irak hat sich wenig verändert, bis auf die Bereitwilligkeit der Menschen, die Tatsachenverdrehungen der Regierung zu schlucken. Die Wahrheit ist das erste Opfer des Kriegs, sagt man, und obwohl das schon immer auf dem Punkt war, ist es heute auf seltsame Art zur Norm geworden. Das politische Establishment der USA versteht darunter heute, dass der Krieg der Regierung die Lizenz zum Lügen gibt. Und die gewählten Volksvertreter könnten das Land daher gar nicht einfacher regieren, als es in einem permanenten Kriegszustand zu halten, wie sie es seit 2001 tun.
Die Gründung der USA beruhte auf einem Prinzip, das dem Rest der Welt Ende des 18. Jahrhunderts völlig fremd war: Die Menschenrechte werden nicht von der Regierung verliehen, sondern es handelt sich um etwas, das einem die Regierung nicht wegnehmen kann. Das war eine revolutionäre Auffassung,
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