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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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Kinder zu sichern. Das Menschlichste, was wir tun können, ist, dem kultivierten Leben eine Zukunft zu sichern.«
    Es gab keinen Schlussapplaus, aber den brauchte ich auch nicht, und er wäre unpassend gewesen. Mein Sieg war unvermeidlich. Ich hatte eine Schranke niedergerissen und würde meinen Plan jetzt durchführen, komme, was wolle.
    Den Zuhörern musste klar sein, dass viele von ihnen am Strang enden würden. Sie wussten, dass entweder sie oder ihr Neben- oder Hintermann zu guter Letzt an einem Strick baumeln würden wie Verbrecher. Es war still.
    Viele ließen die Köpfe hängen. Keiner sah den anderen an. Als sie aufbrachen, war es, als ginge jeder einzeln. Keine Gruppen, keine Familien mehr. Jeder war für sich. Sie wussten, dass es sein musste. Sie wussten, was sie getan hatten.
    Manchmal fragte ich mich, ob mein Volk von all den Dingen hören wollte, die belegten, dass wir einmal viel mächtiger, zahlreicher und technisch weiter fortgeschritten waren als heute. Oder ob sie nur interessierte, wie sie sich das Leben leichter machen konnten, wie sie immer sicher sein konnten, wo ihre nächste Mahlzeit herkam, wie sie in einem rauen Klima überleben konnten. Ich erzählte weniger von Ruinen, riesigen Schiffen und Fahrzeugen, von Texten auf Papier, die niemand lesen konnte, und dafür mehr vom Lebensmittelplan, vom Alltag, von den Bestimmungen des Großen Plans. Sie interessierten sich nicht für die Poesie der Vergangenheit, die in uns den Wunsch nach einer neuen Zukunft weckt. Ich jedoch wusste immer, dass beides wichtig war – die Fakten und die Geschichten.Ich dachte damals, die Menschen würden von Schuldgefühlen erdrückt und wollten nicht über das Hier und Jetzt hinausschauen. Vielleicht habe ich sie unterschätzt.
    Andalus ist in der Sonne eingeschlafen. Speichel rinnt ihm aus dem Mundwinkel.
    Ich muss Tora finden. Die Wohnung, in der sie wohnte, ist hier in der Nähe. Sonderlich weit weg ist allerdings gar nichts. Ich wecke Andalus, und wir gehen um die Gemeindeküche herum und zunächst Richtung Süden. Zweite rechts, erste links, halb durch und da ist es auch, ein dreistöckiger Bau wie die anderen ringsherum, aber für mich doch etwas Besonderes. Ich suche Andalus wieder eine Bank und sage ihm, er soll warten. Er setzt sich anstandslos hin. Mich wundert, dass er im Revier seines ehemaligen Feindes so fügsam ist, aber im Augenblick habe ich keine Zeit, darüber nachzudenken.
    Ich gehe zu dem Haus, um es herum und steige die Außentreppe zum dritten Stock hinauf. Unkraut sprießt aus den Ritzen. Alles sieht genauso aus, wie ich es in Erinnerung habe. Auf der Galerie laufe ich an sechs Türen vorbei, dann kommt ihre. Nummer siebenunddreißig. Die Nummer ist noch da, in der alten Schrift. Die Tür ist gelb. In der Nachmittagssonne scheint sie zu leuchten. Ich hebe die Hand und klopfe zweimal. Mein Herz schlägt heftig. Mein Mund ist trocken. Ich komme mir wie ein Kind vor.
    Ich höre nichts und klopfe noch einmal. Dann höre ich Schritte und eine Stimme, eine etwas atemlose Stimme, die sagt: »Augenblick, meine Haare …«, und die Tür öffnet sich, und die Stimme ist anders, und ich weiß schon, dass es nicht Tora ist. Zu meiner Überraschung aber sehe ich die Frau aus der Küche, Elba, mit frisch gewaschenen, noch nassen Haaren vor mir stehen.Sie muss gleich nach mir gegangen sein. »Ach, Sie sind’s«, sagt sie. Sie scheint nicht so überrascht zu sein wie ich.
    »Hallo«, sage ich, »Entschuldigung, ich wollte nicht stören. Ich wusste nicht, dass Sie hier wohnen. Ich suche jemanden.«
    Sie sieht mich erwartungsvoll an, aber ich zögere. »Und?«, fragt sie. »Haben Sie sie gefunden?« Ich weiß nicht, wie sie das meint.
    »Sie hat mal hier gewohnt«, sage ich. »Sie hat wie Sie in der Gemeindeküche gearbeitet. Kennen Sie sie?«
    Sie legt den Kopf schräg. »Ich glaube nicht. Wann hat sie denn hier gewohnt?«
    »Das kann schon zehn Jahre her sein, vielleicht auch weniger. Ich weiß es nicht.« Ich mache eine Pause. »Ich war einige Zeit weg.«
    »Das ist ja komisch«, sagt sie. »Ich bin seit elf Jahren hier, und vorher stand die Wohnung leer. Wie lange, weiß ich nicht.«
    Mir ist klar, dass sie sich in der Zeit vertan hat. Es ist hier manchmal schwierig, die Jahre auseinanderzuhalten. Man meint, es sei ein Jahr vergangen, dabei war es nur der Frühling. Aber ich irre mich nicht.
    Ich frage sie noch einmal. »Sie hieß Tora. Haben Sie sie vielleicht gekannt?«
    »Leider nicht.«
    »Arbeiten

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