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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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sagt sie. Lange habe ich nicht geschlafen.
    »Ja. Hallo.« Ich bin immer noch ein wenig verwirrt.
    »Genießen Sie die Sonne?«
    »Ich bin müde. Ich habe eine lange Reise hinter mir. Die holt mich vielleicht jetzt ein.«
    Sie tritt aus der Sonne und setzt sich neben mich. Ihre Haut ist gerötet. »Haben Sie Hunger?«
    »Ja.«
    »Dann gehen Sie doch mit mir zur Küche.«
    Wir stehen von der Bank auf und gehen langsam Richtung Gemeindeküche. »Können Sie sich wieder an Tora erinnern?«, frage ich sie.
    »An wen?« Die Rückfrage kommt sehr schnell.
    »Ob Ihnen die Frau wieder eingefallen ist, von der ich gesprochen habe.«
    Sie lächelt mich an. Ich finde das etwas frustrierend, aber das Lächeln macht sie jünger, als sie ist. Sie strahlt. »Leider nicht.«
    Ich starre sie ein paar Sekunden an. »Sie wissen, wer ich bin.« Es ist keine Frage.
    »Leider nein. Sie haben mir ja Ihren Namen nicht gesagt.«
    Darüber gehe ich hinweg. »Ich habe heute Morgen den Richter gesehen.« Ich mustere sie. Sie antwortet nicht. »Den Richter. Von vor zehn Jahren.«
    Sie schaut geradeaus. »Was möchten Sie denn essen?«, sagt sie nur, aber sie nimmt mich beim Arm. Ich schweige.
    In der Küche sagt sie: »Setzen Sie sich, wohin Sie wollen.«
    Ich schaue ihr nach, als sie davongeht. Sie ist nicht alt, aber auch nicht mehr in der Blüte ihrer Jahre. Ob sie einen Mann hat, einen Liebhaber? Ich muss an Tora denken und wende mich ab.
    Als sie mit dem Essen wiederkommt und es vor mich hingestellt hat, bleibt sie am Tisch stehen, anstatt zu gehen. Ich sehe sie an, als ich die Gabel zum Mund führen will. »Darf ich?«, sagt sie und zeigt auf den Platz neben mir.
    »Bitte sehr«, antworte ich und schicke mich an, ihr den Stuhl herauszuziehen, aber sie kommt mir zuvor, und in meiner Hast fällt mir das Messer auf den Boden.
    »Danke«, sagt sie, und schon nimmt sie von einem anderen Gedeck ein sauberes Messer, das sie vor mich hinlegt. Es ist eine beiläufige Bewegung, die meine Ungeschicklichkeit vergessen lässt. Sie wäre eine gute Ehefrau.
    Ein paar Sekunden lang weiß ich nicht weiter.
    »Keinen Hunger?« Sie deutet auf das Essen.
    »O doch«, sage ich lächelnd.
    »War sie eine alte Liebe von Ihnen?« Ich bin etwas verblüfft über die unverblümte Frage, aber nur kurz. Ich entschließe mich, ehrlich zu antworten.
    »Ja. Sie war zwölf Jahre lang meine Geliebte, ehe ich fortging. Zwölf glückliche Jahre.«
    Ein ernster Ausdruck tritt in ihr Gesicht. »Warum sind Sie fortgegangen?«
    Wenn das ein Spiel ist, spielt die Frau es sehr gut. Einen Moment lang frage ich mich, ob ich mich stärker verändert habe, als ich meine. Vielleicht sehe ich nach den zehn Jahren Regen wirklich anders aus. Schlanker bin ich auf jeden Fall und wahrscheinlich auch viel brauner. Es ist, als wäre der Torf von den Füßen her in mich eingedrungen und hätte meine Haut dunkelbraun gefärbt.
    »Ich bin fortgeschickt worden.« Ich beobachte sie, doch ihr Gesichtsausdruck ändert sich nicht.
    »Weshalb?«
    »Das Gericht hat mich fortgeschickt. Der Richter.«
    »Ach, Sie sind einer von unseren Botschaftern. Waren Sie lange weg? Sieht ganz so aus.«
    »Wieso denn?« Ich lasse mir meine Überraschung darüber, dass sie von Botschaftern gesprochen hat, nicht anmerken.
    »Sie scheinen …« Sie hält inne. »Vielleicht hat sich in der Zwischenzeit einiges geändert. Sie gewöhnen sich bald wieder an uns.«
    »Ja«, sage ich. »Das werde ich wohl.« Ich sehe ihr etwas länger als nötig in die Augen.
    »Wie lange waren Sie fort?«
    »Zehn Jahre.« Ich schaue sie immer noch an. Sie senkt den Blick und zögert.
    »Und die Frau? Warum ist sie nicht mitgegangen?«
    »Das wäre nicht richtig gewesen.«
    »Verzeihen Sie«, sagt sie. »Ich frage zu viel.« Sie macht Anstalten aufzustehen. Ohne nachzudenken fasse ich sie beim Handgelenk.
    »Bleiben Sie. Bitte. Wenn Sie nicht arbeiten müssen, meine ich.« Sie setzt sich wieder hin. »Wie gesagt, sie hat hier auch gearbeitet.«
    »Ja, das haben Sie gesagt, aber ich erinnere mich an niemanden namens Tora. Ich bin schon fast zwölf Jahre hier. Keine Tora.«
    »Sie hat diese Küche ins Leben gerufen. Sie hat die Gemeindetafel überhaupt erst organisiert.«
    Sie zuckt die Achseln. »Tut mir leid.«
    »Sie sah Ihnen ein bisschen ähnlich«, sage ich. Wieder schaut sie weg.
    »Was haben Sie vor, wenn Sie sie finden?«
    »Wenn ich sie finde?« Jetzt zögere ich. »Es ist lange her. Ich weiß nicht. Das hängt vom ersten Wiedersehen

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