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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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ab, glaube ich. Dann weiß ich mehr.« Ich sage ihr nicht, dass Tora der einzige Mensch war, den ich je geliebt habe. Ich erzähle ihr auch nicht von dem Prozess, bin aber überzeugt, dass sie davon weiß. Wie könnte es anders sein? Auch von Abel rede ich nicht. Und nicht von der Insel. Aber bald werde ich ihr sagen, weshalb ich zurückgekommen bin. Da bin ich mir ziemlich sicher.
    Was ich aber mache, wenn ich Tora wiedersehe, weiß ich wirklich nicht.
    Die Frau spürt, dass meine Stimmung umgeschlagen ist. »Ich geh mal wieder an die Arbeit«, sagt sie.
    Ich möchte, dass sie meine Verbündete bleibt. »Verzeihen Sie mir bitte«, sage ich. »Ich wollte nicht unhöflich sein. Ich würde mich gerne noch mal mit Ihnen unterhalten. Dürfte ich Sie mal besuchen?«
    Sie dreht sich schüchtern um. »Abends arbeite ich nicht. Sie könnten heute Abend vorbeikommen.« Sie wendet sich ab, um zu gehen, hält aber inne und kommt zurück.
    Sie beugt sich zu mir runter. »Sie sollten auf der Straße keine Leute verfolgen«, sagt sie leise. »So etwas mögen wir nicht. Das ist nicht gut für Sie.« Sie geht davon, ehe ich ihr antworten kann.Ich mache mich auf den Weg zum Büro des Marschalls. Erst gehe ich am Unterstand vorbei und bringe Andalus etwas zu essen, das ich mir in der Küche habe geben lassen.
    Als er fertig ist, nehme ich ihn mit zum Rathaushof. Wieder ist niemand zu sehen. Ich gehe zur Tür des Marschalls und klopfe an. Auch beim zweiten Mal antwortet niemand. Es ist mitten am Tag, da sollte das Büro geöffnet sein. Und wenn schon der Marschall nicht am Platz ist, sollten wenigstens ein paar Schreiber und Beamte da sein. Ohne Verwaltung kann eine Siedlung nicht funktionieren. Die Bewohner scheint das aber nicht zu kümmern. Es ist ein verschlafener Ort, ganz anders als zu meiner Zeit. Auf den Straßen sind kaum Leute. Ich frage mich, wie viele gestorben sind. In einer so fruchtbaren Gegend wird schwerlich die ganze Einwohnerschaft aus Nachgeborenen bestehen. Man sieht keine Leute, und wenn, dann haben sie etwas Verstohlenes an sich, sie sehen einen kaum an und gucken immer schnell wieder weg. Außer den Kindern, die ein Beweis dafür sind, dass die Stadt nicht ausstirbt. Und der Frau aus der Küche. Ich spüre, dass sie eine Geschichte in sich trägt. Aber sie hat etwas Unnahbares. Sie ist weit weg.
    Ich öffne die Hand und schlage gegen die Tür. Ich höre ein Echo. Ich drücke die Klinke runter, aber es ist abgeschlossen. Ich drehe mich um, um zu gehen, und Andalus ist direkt hinter mir. Fast wäre ich mit ihm zusammengestoßen. »Möchten Sie’s mal versuchen?« Ich schiebe ihn zur Tür hin. Er bleibt untätig davor stehen. Dann dreht er sich langsam zu mir um. Schüttelt er den Kopf? Ich kann es nicht sehen. Er steht im Schatten, ich in der Sonne. Ich sehe ihn nicht.
    Er kommt mir auch so nach. Wir kehren zum Unterstand zurück, und ich lege mich hin. Ich werde es später noch mal versuchen. Ohne zu murren. Ich werde höflich bleiben. MeinAnliegen ist heikel genug, auch ohne dass ich aus der Haut fahre.
    Bekäme Andalus den Mund auf, würde alles viel einfacher. »Branier«, höre ich ihn im Geiste sagen, »mein Land Axum wird von einer Horde Menschen belagert, die weder euch noch uns bisher begegnet sind. Ich entkam, weil ich auf Überwachungsfahrt war, als sie einfielen. Ich wollte Axum zu Hilfe eilen, kam aber nicht durch. Da fiel mir Bran ein, der frühere Feind und jetzige Verbündete. Auf dem Weg zu euch kam ich vom Kurs ab. Diese Menschen, die Dritten, könnten jetzt durchaus auf dem Weg hierher sein. Vielleicht stürmen sie nachts über die Hügel, die Augen glutrot über vieltausend staubtretenden Füßen. Sie sind stark. Sie werden nicht ruhen, bis Bran und Axum hingemetzelt sind. Das ist ein neuer Menschenschlag. Wir können sie besiegen, aber nur, wenn wir uns vereinen.« Dann bekäme ich ohne Weiteres das, weshalb ich gekommen bin.
    Eine dritte Kraft. Mehr Menschen. Vielleicht ein Segen. Wahrscheinlich ein Fluch. Die Welt ist so riesig, unsere Erinnerung daran so spärlich. Alles, was wir sehen, jedes Land, auf das wir stoßen, jede Ruinenstätte – neu, und doch haben wir immer das Gefühl, dort schon gewesen zu sein, es schon gesehen zu haben. Wir sind Menschen, die ihr Gedächtnis verloren haben, aber noch wissen, dass da etwas war. Einst waren wir Könige. Jetzt hat offenbar ein schrecklicher Unfall, ein Untergang, ein Fluch unser Gedächtnis leer gefegt. Beinahe leer. Ab und zu steckt noch

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