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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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Motto von Bran: Kraft durch Einheit.
    Das Holz ist abgenutzt.
    Ich ziehe das Tuch vom Bücherregal. Darauf die Verfassung der Siedlung. Abel und ich haben sie gemeinsam geschrieben.
    Nachdem ich die Tücher wieder aufgelegt habe, verlasse ich den Raum. Weiter hinten im Gang sind noch mehr Büros. Da wir einfach drauflosgebaut und ohne Rücksicht aufs Gesamtbild Gebäudeteile hinzugefügt hatten, wie wir sie brauchten, ist der Gang nicht gerade. Er biegt ab und kommt wieder zurück. Ohne Fenster ist es dunkel im Innern. Man könnte sich hier verlaufen, wenn man nicht Bescheid wüsste. Ich gehe durch das Gebäude und probiere sämtliche Türen. Abels Tür ist als einzige nicht abgeschlossen. Ich bedaure, dass ich mein Messer im Unterstand gelassen habe. Meistens habe ich es dabei. Damit hätte ich ein Schloss aufbrechen können. Ich könnte auch die Türen einrammen, aber das würde Lärm machen.
    Ich gehe den Weg zurück, den ich gekommen bin, wende mich vorn aber nach links, statt hinauszugehen. Ich stoße die Tür zur Empfangshalle auf. Ich möchte etwas überprüfen. Der Saal ist leer. Das ist nicht ungewöhnlich, er war es oft. Nur bei großen Versammlungen haben wir Stühle aufgestellt. Ich gehe nach hinten. Da ist ein Podium und links eine holzverkleidete Wand. Meine Schritte hallen durch den Raum, obwohl der Staub sie dämpft. Eine goldene Inschrift taucht aus dem Halbdunkel auf, als ich näher herankomme. Oben steht einfach: »Marschalle von Bran«. Darunter stehen nur zwei Namen. Ich sehe genau hin. Es ist, als bliebe mir das Herz stehen. Mein Name fehlt. Als Erstes müsste da »Bran« zu lesen sein und das Datum meiner Regierungszeit, doch der erste Name lautet Madara. Die Jahreszahlen sind meine, B I -B IO . Der zweite Name ist Abel. Dasstimmt, aber was ist dann mit Marschall Jura? Wieso ist der aktuelle Marschall nicht aufgeführt? Und wenn man beschlossen hat, den Namen eines verurteilten Marschalls zu tilgen, wieso hat man seinen Namen dann durch einen erfundenen ersetzt? Man mag von mir halten, was man will, aber man darf nicht vergessen, was ich geleistet habe. Und außerdem wissen sie alle, dass sie mitschuldig sind. Ja, man hat mich verbannt, aber aus Schuldbewusstsein, nicht aus Hass. Natürlich gab es auch welche, die mich hassten, aber das Schuldbewusstsein überwog. Ich rase innerlich, ein Gefühl, das ich seit Jahren nicht hatte, seit dem Schlachtfeld nicht und auch da nur selten. Im Gefecht unterliegen die Wüteriche, und wer ruhig bleibt, siegt. Ich beruhige mich, als ich hinaus an die kalte Luft trete, merke aber, dass ich geschwitzt habe. Ich wische mir mit dem Handrücken die Stirn.
    Für heute Abend habe ich genug nachgeforscht. Morgen werde ich zusehen, dass ich eine Audienz beim Marschall bekomme.
    Madara. Ein Name. Ein erfundener Name. Ein Wort, dessen Existenz besagt, dass die Geschichte der Siedlung mit Mängeln behaftet ist. Warum hält man sich nicht an den wahren Namen? Selbst wenn man den wahren Namen hasst und das, wofür er steht, sollte man ihn doch anerkennen, ihm ins Gesicht sehen.
    Madara. Kommt mir irgendwie bekannt vor. Ein Name, den ich mal gehört habe. Ein Mensch, den ich gekannt habe. Ich bin nicht Madara.
    Stundenlang wandere ich durch die Stadt. Ich komme an Elbas Fenstern vorbei. In einem brennt noch Licht. Ein paar Minuten bleibe ich stehen. Ein Schatten streicht über das gelbe Rollo, schwebt durch den Raum, vor und zurück, vor und zurück wie in einem Tanz.
    Ich gehe an Abels Haus vorbei. Dort ist dagegen immer noch alles dunkel. Da es aber sehr spät ist, will das nichts besagen.
    Ich gehe am Rathaushof vorbei. Zweimal, dreimal.
    Beim dritten Mal sehe ich zu den Fenstern hoch. Hinter einem bewegt sich etwas. Ich bin mir ziemlich sicher, dass da eine blasse Gestalt aus dem Dunkeln zu mir hinausschaut, mich anstarrt. Erkennen kann ich aber nichts. Ich gehe ein Stück in den Hof hinein und schaue noch einmal hoch. Das Fenster ist schwarz.
    Ich denke an die Gestalt zurück, die ich zuvor auf dem Hof gesehen hatte. Auch dieser Mann hatte zu den Fenstern hochgeschaut. Hatte er auf ein Zeichen von irgendwem da oben gewartet? Hatte er nach mir Ausschau gehalten?
    Da es am Himmel blitzt, kehre ich zum Unterstand zurück. Andalus schnarcht leise, die Hände über den Bauch gebreitet, als hätte er ein Festmahl hinter sich. Ich setze mich nach draußen, den Rücken zur Wand, schließe die Augen und warte darauf, dass die Sonne in die Gasse scheint.

9
    Ich schlafe ein

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