Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
Vom Netzwerk:
habe, verbannt wegen dem, was ich zu ihrer Rettung veranlasst habe, nur um als Folge der Verbannung dann einen Krieg heraufzubeschwören. An diese Möglichkeit haben Sie nicht gedacht, als Sie mich mit einem Floß und Proviant ausgestattet haben.«
    »Ich habe Sie mit einem Floß ausgestattet?«
    Ich gebe mich betont geduldig. »Nicht Sie persönlich, wenn Ihnen auch sicher eine Rolle bei dem Ganzen zukam. Sie nicht, aber Ihre Dienststelle, insbesondere Ihr Vorgänger im Amt, Marschall Abel.«
    »Abel?«
    »Ja, Abel. Sie wollen mir ja wohl nicht erzählen, dass Sie ihn auch vergessen haben.«
    Der Marschall lächelt und sieht auf seinen Schreibtisch nieder. »Erzählen Sie mir bitte von der Insel.«
    Wieder halte ich das für Zeitverschwendung, aber mir dämmert, dass mein Volk den Sinn für Dringlichkeit verloren hat. Alles ist langsamer geworden. »Die Insel«, beginne ich, »ist ein toter, oder besser gesagt ein sterbender Ort. Sie ist wie ein Mensch, der mit dem Gesicht nach unten in einer Schlammpfütze liegt und langsam versinkt, langsam ertrinkt.« Ich unterbreche mich.
    »Die Insel habe ich genauestens erfasst. Ich habe meine Aufzeichnungen mitgebracht.« Ich tippe auf die Tasche in meiner Hand. »Meine Absicht war, diese Aufzeichnungen dem Geografen der Stadt zu übergeben. Auch wenn die Insel verschwindet, das Wissen ist da, und nachdem wir so vieles verloren haben, ist selbst das wenige wertvoll.«
    Der Marschall hebt die Hand, als ich die Tasche öffnen will. »Das hat Zeit«, sagt er.
    Ich fixiere ihn mit meinem Blick. »Da haben Sie recht. Über die Insel gibt es nichts Besonderes zu sagen. Sie ist nicht die Sache, um die es hier geht, jedenfalls nicht die Hauptsache. Interessant für uns ist Andalus und was mit ihm geschehen soll.«
    »Tun Sie mir trotzdem den Gefallen. Wie lange waren Sie auf der Insel, und was hat Sie bewogen, zu uns zurückzukehren?«
    »Zehn Jahre. Ungefähr drei Wochen nachdem man mich fortgeschickt hatte, kam ich dort an. Zum ersten Mal konnte ich wieder Fuß auf trockenen Boden setzen. Relativ trocken zumindest. Ich schlug mein Lager auf. Ich fand Wasser. Ichfing Fische. Mit Torf und Holz aus einem kleinen Wäldchen machte ich Feuer. Ich sammelte Körner und Knollen. Ab und zu fing ich eine Möwe. Meistens waren sie aber schon tot. Ich rechnete aus, wie lange die Insel noch bestehen, wann sie im Wasser versinken würde. Ebenso notierte ich, wie die Nahrungsvorräte – Vögel und Fische – zurückgingen, und berechnete, wie lange der Brennstoffvorrat reichen würde. Ich katalogisierte die Fische, die ich fing, die Körnerarten, die ich fand, die Erde, die Steine. Angepflanzt habe ich nichts, weil ich mit dem Bestand auskam. Mein Leben würde mit dem der Insel zu Ende gehen. Das war mir die ganze Zeit, die ich dort war, bewusst.
    Eines Tages wurde Andalus an Land gespült. Da war er nun, ein dicker weißer Bursche an meinem Strand. Erst nach einiger Zeit erkannte ich ihn. Er wiederum schien mich nicht zu erkennen. Im Gegenteil, es sah so aus, als wüsste er überhaupt nicht, was um ihn herum vorging.
    Mir wurde klar, was seine Anwesenheit bedeuten könnte, und ich entschloss mich, unter Gefahr für mein Leben das Richtige zu tun, nämlich, Sie auf ihn aufmerksam zu machen. Und hier bin ich.«
    »Und hier sind Sie.« Er schweigt. »Und wie lange haben Sie vor zu bleiben?«
    Ich schüttele den Kopf. »Es gibt noch zu tun, es sind noch Fragen offen.« Ich beuge mich zum Marschall vor. »Was haben Sie mit Marschall Abel gemacht? Was haben Sie mit seiner Geliebten Tora gemacht?«
    »Tora?«
    »Meine Geliebte, bevor ich weg bin.«
    »Und Sie meinen, ich sollte Sie kennen?«
    »Sonst sind Sie ein Einfaltspinsel.«
    Sein Gesichtsausdruck ändert sich. »Sie sind zu Gast in dieser Stadt. Vergessen Sie das nicht.«
    »Ein Gast, mit dem Sie nichts anfangen können. Sie haben die Wahl: Geben Sie ihm Ihr bestes Zimmer, ignorieren Sie ihn in der Hoffnung, dass er weggeht, oder schaffen Sie ihn hinaus in das Orangenwäldchen, fallen Sie über ihn her, schneiden Sie ihm die Kehle durch und begraben Sie ihn irgendwo, wo es niemand sieht.«
    »Wir bringen Sie nicht um. Wir sind gute Menschen, ein Volk, das nach vorn schaut.« Damit lehnt sich der Marschall zurück, verschränkt die Arme hinterm Kopf und blickt zur Decke. Dann fügt er hinzu: »Sie waren gestern Abend hier.«
    Das verblüfft mich etwas. »Woher wissen Sie, dass ich das war?«
    »Ihre Fußabdrücke waren überall.«
    »Woher

Weitere Kostenlose Bücher