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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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und Amhara keine Spur. Durch einen Gang sehe ich den Saal, in dem ich gestern Abend war. Ich überlege, ob ich schnurstracks dahin gehen und fragen soll, was es mit der Auslöschung meines Namens auf sich hat. Aber das kann warten. Ich gehe die Treppe hinauf, vorbei an den Büros von Schreibkräften und kleineren Beamten, und betrete unaufgefordert das Marschallbüro. Drinnen hat sich einiges verändert. Auf dem Boden liegt ein Teppich, der vorher nicht da war, und rechts an der Wand steht ein Aktenschrank. Ich sehe auch, dass mein über dem Schreibtisch hängendes Porträt entfernt worden ist. Es hat eine dunkle Stelle an der Wand zurückgelassen. Schreibtisch und Stuhl sind geblieben, und man sieht ihnen ihr Alter an. Ich fahre mit den Fingern über einen Kratzer auf der Schreibtischplatte. Ich weiß noch, wie er entstanden ist – ein ausgerutschtes Messer. Und wie er mit den Jahren dunkler wurde. Ich drehe mich nach dem Marschall um, der jetzt gerade in der Tür erscheint.
    »Sie kennen sich ja gut aus.«
    »Sieht so aus, ja.«
    Einen Moment lang kommt es mir vor, als ob ich wieder im Amt bin und dieser Mann statt meiner der Bittsteller ist. Schon gehe ich zu dem Stuhl hinterm Schreibtisch, besinne mich dann aber. Ich trete zur Seite und lasse den Marschall vorbei. Er bittet mich, Platz zu nehmen.
    »Was kann ich für Sie tun?« Der Marschall hat sich hinter den Schreibtisch gesetzt und sieht mich an.
    »Sie wissen zweifellos, wer ich bin«, setze ich an. »Sie wissen zweifellos, dass es mir aufgrund des gegen mich ergangenen Urteilsbei Todesstrafe verboten ist, zur Siedlung zurückzukehren. Dennoch bin ich zurückgekehrt. Sie müssen sich doch fragen, warum ich zurückgekommen bin, warum ich mich über das Urteil hinweggesetzt habe.«
    Ich mache eine Pause, doch der Marschall schweigt.
    »Ich muss sagen, es wundert mich, wie gelassen Sie meine Anwesenheit, ja die Anwesenheit von Andalus hinnehmen. Es wundert mich, dass man mich in Ruhe lässt und nicht verhaftet. In mancher Hinsicht ist das zwar eine erfreuliche Wendung, aber ich möchte sie auch verstehen. Wir haben hier einiges zu klären. Erstens, Sie sollten die Gründe für meine Anwesenheit kennen, denn meiner Meinung nach haben Sie als Marschall die Pflicht, darauf zu reagieren. Das ist mein Hauptanliegen und war es immer schon. Zweitens möchte ich gerne verstehen, was das zu bedeuten hat. Warum tut die Stadt, als ob sie mich nicht kennt, sich nicht an mich erinnert, denn das ist es ja wohl, was hier läuft? Vielleicht geht es mich nichts an. Schließlich gehöre ich nicht mehr hierher. Dennoch würde ich gern verstehen, was es damit auf sich hat. Soll ich wieder fortgeschickt werden? Soll ich hingerichtet werden? Soll ich innerhalb der Kolonie ins Gefängnis? Ich hoffe auf Milde nach all den Gefahren, die ich auf mich genommen habe, um Andalus hierherzubringen, Sie auf ihn aufmerksam zu machen. Drittens würde ich mich gerne über die Ereignisse der Vergangenheit unterhalten, über das, was wir getan haben.«
    Er unterbricht mich. »Wer ist denn der Mann, den Sie uns gebracht haben?«
    »Das wissen Sie doch wohl. Es ist Andalus, der General von Axum, der beinah unser Volk vernichtet hat, genau wie wir das seine. Der Mann, gegen den ich gekämpft und mit dem ich Frieden geschlossen habe.«
    »Ich habe Andalus nicht gesehen.« Diesmal betont er den Namen richtig.
    »Er scheint traumatisiert zu sein. Das ist nicht mehr der Mann, der Axum geführt hat. Irgendetwas ist da passiert, und ich glaube, wir sollten herausfinden, was. Seit ich ihn aufgegriffen habe, hat er noch keinen Ton, kein Wort gesagt. Er ist gefügig. Handzahm. Wie ein Hund gewissermaßen. Er tut, was man ihm sagt. Hin und wieder glimmt in seinen Augen etwas von dem Mann auf, der er einmal war. Zum Beispiel, als ich auf der Insel einmal Holz gehackt habe. Wie ein Gespenst tauchte er plötzlich hinter mir auf, und der Ausdruck in seinen Augen… danach habe ich ihm eine Zeit lang nicht getraut, aber er scheint harmlos zu sein.«
    »Sie waren auf einer Insel?«
    »Ja.« Ich sehe ihn fest an. »Ich habe überlebt.«
    »Erzählen Sie mir von dieser Insel.«
    Ich dränge meinen Ärger über den Themenwechsel zurück und gehe auf seine Bitte ein. »Meinen Berechnungen zufolge befand ich mich am äußersten Rand unserer mit Axum abgestimmten Territorien. Wäre ich etwas weiter rausgefahren, hätte ich den Vertrag verletzt, und Sie könnten wieder Krieg haben. Verbannt von der Stadt, die ich gerettet

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