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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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besaßen. Wahrscheinlich war das ein Glück für sie. Phantasie macht den Menschen überempfindlich, verletzbar und ausgeliefert. Vielleicht ist sie überhaupt eine Entartungserscheinung. Ich habe den Phantasielosen ihren Mangel nie angekreidet, manchmal habe ich sie sogar um ihn beneidet. Sie hatten ein leichteres und angenehmeres Leben als die anderen.
    Das gehört eigentlich nicht in meinen Bericht. Es läßt sich eben nicht vermeiden, daß ich manchmal nachdenke über Dinge, die für mich gar nicht von Bedeutung sind. Ich bin so allein, daß ich dem fruchtlosen Denken nicht immer entrinnen kann. Seit Luchs tot ist, ist es damit viel schlimmer geworden.
    Ich werde versuchen, nicht allzuoft von den Kalendernotizen abzuweichen.
    Am sechzehnten Mai fand ich endlich einen Platz für den Erdapfelacker. Tagelang hatte ich mit Luchs danach gesucht. Der Acker sollte nicht zu weit von derHütte entfernt sein, nicht im Schatten liegen und, vor allem, fruchtbare Erde tragen. Diese letzte Forderung war fast nicht zu erfüllen.
    Der Humus liegt hier nur als dünne Haut über dem Kalkstein. Ich war nahe daran, die Hoffnung auf Erde aufzugeben, als ich auf einer kleinen Lichtung auf der Sonnenseite die richtige Stelle fand. Der Platz war fast eben, trocken und ringsum vom Wald geschützt, und es gab dort wirklich Erde. Eine ganz sonderbare leichte Erde, schwarz und mit winzigen Kohlestückchen durchsetzt. Es mußte hier einmal ein Kohlenmeiler gestanden sein, vor langer Zeit, denn jetzt gab es längst keine Köhler mehr im Wald.
    Ich wußte nicht, ob Erdäpfel die rußige Erde mögen, aber ich entschloß mich doch, sie an dieser Stelle einzulegen, weil ich wußte, daß ich sonst nirgends so tiefe Erde finden würde.
    Ich holte Schaufel und Krampen aus der Hütte und ging gleich daran, den Boden umzustechen. Es war nicht so einfach, denn es wuchs auch Buschwerk darauf und ein unglaublich zähes Kraut mit langen Wurzeln. Diese Arbeit dauerte vier Tage und strengte mich übermäßig an. Als ich damit fertig war, ruhte ich mich einen Tag aus und ging dann gleich an das Einlegen der Erdäpfel. Ich erinnerte mich dunkel daran, daß man sie zu diesem Zweck zerschnitt und darauf achtete, daß jedes Stück mindestens ein Keimauge trug.
    Dann häufte ich die Erde auf und ging nach Hause. Ich konnte jetzt nichts tun als warten und hoffen.
    Ich bestrich meine wunden Hände mit Hirschtalg, von dem ich ein großes Stück in der Jägerhütte gefunden hatte. Sobald ich wieder dazu fähig war, fing ich an, neben dem Stall umzustechen und meine Bohnen einzulegen. Es reichte nur für ein winziges Gärtchen, und ichwußte nicht, ob die Bohnen überhaupt keimen würden. Sie mochten zu alt oder chemisch präpariert sein. Jedenfalls mußte ich den Versuch wagen.
    Inzwischen hatte sich das Wetter gebessert, und Sonnenschein wechselte mit Regenschauern ab. Es gab sogar einmal ein leichtes Gewitter, und der Wald verwandelte sich in einen grünen, dampfenden Kessel. Nach diesem Gewitter, ich hielt es damals für aufzeichnenswert, wurde es sommerlich warm, und das Gras auf der Waldwiese wurde hoch und üppig. Es war ein merkwürdig hartes, fast stachliges Gras, sehr lang, und ich nehme an, es taugte nicht viel als Viehfutter. Bella schien aber zufrieden damit. Sie verbrachte jeden Tag auf der Wiese, und sie schien mir rundlicher zu werden. Zur Sicherheit holte ich aber noch das letzte Heu aus dem Stadel, um auch bei einem plötzlichen Schlechtwettereinbruch versorgt zu sein. Jeden zweiten Tag schnitt ich frische Zweige für Bellas Lagerstatt. Ich wollte, daß meine Kuh in Sauberkeit und Ordnung gedeihen konnte. Die Sorge für Bella machte mir viel Arbeit. Ich hatte jetzt reichlich Milch für mich und Luchs, aber selbst wenn Bella keine Milch gegeben hätte, wäre es mir unmöglich gewesen, nicht ebensogut für sie zu sorgen. Sehr bald war sie mir mehr geworden als ein Stück Vieh, das ich zu meinem Nutzen hielt. Vielleicht war diese Einstellung unvernünftig; ich konnte und wollte aber nicht dagegen ankämpfen. Ich hatte ja nur noch die Tiere, und ich fing an, mich als Oberhaupt unserer merkwürdigen Familie zu fühlen.
    Am Tag nach dem Gewitter, dem dreißigsten Mai, regnete es den ganzen Tag einen warmen, fruchtbaren Regen, der mich zwang, in der Hütte zu bleiben, wenn ich nicht in wenigen Minuten durchnäßt sein wollte. Gegen Abend wurde es unangenehm kühl, und ich heizteein. Nachdem ich die Stallarbeit verrichtet und mich gewaschen hatte, zog ich

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