Die Wand
meinen Schlafrock an, um noch ein wenig bei Lampenlicht zu lesen. Ich hatte einen Bauernkalender gefunden, der mir lesenswert erschien. Es stand darin eine Menge über Gartenbau und Viehzucht, und ich hatte das dringende Bedürfnis, mehr darüber zu erfahren. Luchs lag im Ofenloch und schnaufte behaglich in der Wärme, und ich trank bitteren Tee und lauschte auf das gleichmäßige Rauschen des Regens. Plötzlich war es mir, als hörte ich Kindergeschrei. Ich wußte, es konnte nur eine Täuschung sein, und wandte mich wieder dem Kalender zu, aber dann hob Luchs den Kopf und lauschte, und da war es wieder, ein leises, jämmerliches Klagen.
An jenem Abend kam die Katze in mein Haus. Als klatschnasses graues Bündel hockte sie vor der Tür und jammerte.
Später, in der Hütte, schlug sie entsetzt ihre Krallen in meinen Schlafrock und fauchte den bellenden Luchs wütend an.
Ich schrie den Hund an, und er kroch unwillig und gekränkt in sein Loch zurück. Dann setzte ich die Katze auf den Tisch. Sie fauchte noch immer auf Luchs hin, eine magere, grauschwarz gestreifte Bauernkatze, hungrig und durchnäßt, aber noch immer bereit, sich mit Krallen und Zähnen zu verteidigen. Sie beruhigte sich erst, als ich Luchs in die Schlafkammer verbannt hatte.
Ich gab ihr warme Milch und ein wenig Fleisch, und sie vertilgte hastig und sich fortwährend umblickend alles, was ich ihr vorsetzte. Dann ließ sie sich streicheln, sprang vom Tisch, stelzte durchs Zimmer und glitt auf mein Bett. Dort ließ sie sich nieder und fing an, sich zu waschen. Als sie trocken war, sah ich, daß sie ein schönes Tier war, nicht groß, aber apart gezeichnet. Das schönstean ihr waren ihre Augen, groß, rund und bernsteingelb. Sie mochte dem alten Mann am Brunnen gehört haben und war auf ihrem Heimweg von der Abendpirsch auf die Wand gestoßen. Vier Wochen lang hatte sie sich herumgetrieben, mich vielleicht schon lange beobachtet, ehe sie gewagt hatte, sich der Hütte zu nähern. Die lockende Wärme und der Lichtschein, vielleicht auch der Milchgeruch, hatten ihr Mißtrauen besiegt.
Luchs winselte in seinem Gefängnis und ich führte ihn am Halsband heraus, zeigte ihm die Katze, streichelte zuerst ihn und dann sie und stellte sie als neue Hausgenossin vor. Luchs benahm sich sehr vernünftig und schien begriffen zu haben. Die Katze verhielt sich noch tagelang feindselig und abweisend gegen ihn. Sie mochte schlimme Erfahrungen gemacht haben und fauchte wütend, wenn Luchs sich ihr neugierig näherte.
Nachts schlief sie in meinem Bett, eng an meine Beine geschmiegt. Es war nicht sehr bequem für mich, aber mit der Zeit gewöhnte ich mich daran. Am Morgen lief die Katze weg und kam erst bei Einbruch der Dämmerung zurück, um zu fressen, zu trinken und in meinem Bett zu schlafen. So hielt sie es fünf oder sechs Tage. Dann blieb sie ganz bei mir und benahm sich von da an wie eine richtige Hauskatze.
Luchs gab es nicht auf, sich ihr zu nähern, er war ja überhaupt ein sehr neugieriger Hund, und schließlich fand die Katze sich damit ab, hörte auf zu fauchen und ließ sich sogar beschnuppern. Allerdings schien sie sich dabei nicht wohl zu fühlen. Sie war ein sehr nervöses und mißtrauisches Geschöpf, zuckte bei jedem Geräusch zurück und befand sich meistens in einem Zustand der Fluchtbereitschaft und Spannung.
Es dauerte wochenlang, bis sie sich beruhigte und nicht mehr zu fürchten schien, ich könnte sie mit Fußtrittendavonjagen. Seltsamerweise schien sie Luchs bald weniger zu mißtrauen als mir. Von seiner Seite erwartete sie sichtlich keine bösen Überraschungen mehr, und sie fing an, ihn zu behandeln wie ein launenhaftes Weib seinen Tolpatsch von Ehemann behandelt. Manchmal fauchte sie ihn an und schlug nach ihm, und dann wieder, wenn Luchs sich zurückgezogen hatte, näherte sie sich ihm und schlief sogar an seiner Seite ein.
Die Erfahrungen, die sie mit Menschen gemacht hatte, mußten sehr schlimm gewesen sein, und da ich wußte, wie schlecht Katzen besonders auf dem Land häufig behandelt werden, wunderte ich mich nicht. Ich war immer gleichmäßig freundlich zu ihr, näherte mich ihr nur langsam und nie, ohne dabei zu ihr zu sprechen. Und als sie sich Ende Juni zum erstenmal von ihrem Platz erhob, über den Tisch auf mich zukam und ihr Köpfchen an meiner Stirn rieb, empfand ich dies als großen Erfolg. Von da an war das Eis gebrochen. Nicht daß sie mich mit Zärtlichkeiten überhäuft hätte, aber sie schien bereit, das Böse, das
Weitere Kostenlose Bücher