Die Wand
Kammer eine Tür ins Freie ausbrechen und den Boden in der Kammer aufreißen und eine Rinne bauen. Die Rinne könnte ich in die Senkgrube hinter dem Haus führen, unter das kleine Holzhäuschen. Was mir Sorgen macht, ist nur der Gedanke an die Tür. Mit größter Mühe werde ich es fertigbringen, die Tür auszubrechen, aber ich muß ja dann die Stalltür richtig einpassen, und ich glaube, das wird mir nicht gelingen. Jeden Abend im Bett denke ich über diese Tür nach, und ich könnte weinen, daß ich so ungeschickt und unfähig bin. Und doch, wenn ich sehr lange darüber nachgedacht habe, werde ich die Tür in Angriff nehmen. Im Winter wird es Bella angenehm warm neben der Küche haben, und sie wird meine Stimme hören. Solange es kalt ist und Schnee liegt, kann ich nichts tun, als daran denken.
Bellas Stall stellte mich auch damals im Juni vor neue Aufgaben. Der Holzboden war von ihrem Harn durchtränkt und fing an zu faulen und zu stinken. Es konnte so unmöglich weitergehen. Ich riß zwei Bretter heraus und grub eine Rinne, in der der Harn nach außen abfließen konnte. Die Hütte stand ein wenig geneigt, dem Abhang zu, der sich zum Bach hinab erstreckte. Der Boden mochte sich im Lauf der Jahre ein wenig gesenkt haben, das war für meine Arbeit günstig. Durch den durchlässigen Kalkboden konnte alles ungehindert abfließen und im Boden versickern.
Im Sommer stank es ein wenig hinter dem Stall, aber dorthin kam ich ohnedies nie; der Stall jedenfalls war jetzt sauber und trocken. Der Abhang hinter dem Stallwar immer schon eine besonders unfreundliche und fast unheimliche Gegend gewesen, immer im Schatten, dicht von Fichten bestanden und feucht. Weißliche Schwämme wuchsen dort, und es roch immer ein wenig modrig. Daß der Unrat vielleicht in den Bach sickern würde, störte mich nicht. Das Brunnenwasser kam von einer Quelle oberhalb des Jagdhauses und war klar und sehr kalt, das beste Wasser, das ich je getrunken habe.
Es fällt mir auf, daß ich in meinem Kalender nie vermerkt habe, wann ich ein Stück Wild schoß. Jetzt erinnere ich mich auch, daß es mir einfach zuwider war, es auf zuschreiben, es genügte ja schon, daß ich es tun mußte. Auch jetzt möchte ich nicht darüber schreiben, nur so viel, daß es mir nach einigen Fehlschlägen ganz gut gelang, uns mit Fleisch zu versorgen, ohne zuviel Munition zu verbrauchen. Ich bin zwar ein Stadtkind, aber meine Mutter stammte vom Land, eben aus der Gegend, in der ich jetzt lebe. Sie und Luises Mutter waren Schwestern, und wir verbrachten die Sommerferien immer auf dem Land. Es war ja damals noch nicht üblich, die Ferien an der Riviera zu verbringen. Wenn ich diese Sommer auf dem Land auch immer wie im Spiel verbrachte, blieb doch manches, was ich hörte, hängen und erleichtert mir das Leben, das ich jetzt führen muß. Ich bin zumindest nicht völlig ahnungslos. Schon damals als Kind übte ich mich mit Luise im Scheibenschießen. Ich war darin sogar besser als Luise, aber sie war es, die eine leidenschaftliche Jägerin wurde. Im ersten Sommer hier im Wald fing ich auch häufig Forellen. Es machte mir weniger aus, sie zu töten. Ich weiß nicht, warum; bei den Rehen erscheint es mir heute noch besonders verwerflich, fast wie ein Verrat. Ich werde mich nie daran gewöhnen.
Meine Vorräte schmolzen viel zu schnell, und ich mußte mich sehr einschränken. Besonders fehlten mirObst, Gemüse, Zucker und Brot. Ich half mir, so gut es ging, mit Brennesselspinat, Lattich und jungen Fichtenwipfeln. Später, als ich schon sehnsüchtig auf die Erdapfelernte wartete, kam eine Zeit, in der mich Gelüste befielen wie eine schwangere Frau. Vorstellungen von gutem und reichlichem Essen verfolgten mich bis in den Traum. Zum Glück dauerte dieser Zustand nicht allzulange. Ich kannte ihn schon aus der Kriegszeit, aber ich hatte vergessen, wie schrecklich es ist, von einem unzufriedenen Körper abhängig zu sein. Ganz plötzlich, als die ersten Erdäpfel da waren, verließen mich meine wilden Begierden, und ich fing an zu vergessen, wie frisches Obst, Schokolade und Eiskaffee geschmeckt hatten. Ich dachte nicht einmal mehr an den Duft von frischem Brot. Aber ganz vergessen konnte ich das Brot nie. Noch heute werde ich manchmal von Verlangen danach überfallen. Schwarzes Brot ist für mich eine unvorstellbare Köstlichkeit geworden.
Wenn ich an jenen Sommer zurückdenke, scheint er mir erfüllt von Geschäftigkeit und Plage. Ich wurde mit den anfallenden Arbeiten kaum fertig.
Weitere Kostenlose Bücher