Die Wand
brach oder von einer Kreuzotter gebissen wurde? Ich erinnerte mich dunkel daran, während meiner ländlichen Sommerferien sehr düstere Geschichten über Rinder gehört zu haben. Es gab eine Krankheit, bei der man der Kuh an einer bestimmten Stelle ein Messer in den Leib rennen mußte. Ich kannte diese Stelle nicht, und selbst wenn ich sie gekannt hätte, niemals wäre ich dazu fähig gewesen, Bella ein Messer in den Leib zu rennen. Ich hätte sie eher erschossen. Vielleicht lagen auch Nägel oder Glasscherben auf der Wiese. Luise war in dieser Hinsicht immer nachlässig gewesen. Nägel und Scherben konnten einen von Bellas unzähligen Magen aufschlitzen. Ich wußte nicht einmal, wie viele Magen eine Kuh hat; derartige Dinge lernt man zur Prüfung und vergißt sie wieder. Und nicht nur Bella, wenn sie auch mein größtes Sorgenkind war, befand sich in dauernder Gefahr; Luchs konnte in eine alte Falle geraten, und die Kreuzottern konnten auch ihn beißen. Ich weiß nicht, warum ich damals die Kreuzottern so sehr fürchtete. In den zweieinhalb Jahren, die ich hier bin, habe ich nicht einmal auf der Lichtung eine Schlange gesehen. Was meiner Katze zustoßen konnte,war gar nicht auszudenken. Sie vermochte ich auch nicht zu schützen, weil sie nachts in den Wald lief und sich mir völlig entzog. Die Eule konnte sie fangen oder der Fuchs, und sie konnte noch eher in eine Falle geraten als Luchs.
So sehr ich mich auch bemühte, diesen Vorstellungen zu entfliehen, gelang es mir doch nie wirklich. Ich glaube auch nicht, daß sie wahnhaften Charakter hatten, denn es war viel unwahrscheinlicher, daß ich mitten im Wald die Tiere durchbringen würde, als daß sie starben. Ich habe an derartigen Ängsten gelitten, solange ich mich zurückerinnere, und ich werde darunter leiden, solange irgendein Geschöpf lebt, das mir anvertraut ist. Manchmal, schon lange ehe es die Wand gab, habe ich gewünscht, tot zu sein, um meine Bürde endlich abwerfen zu können. Über diese schwere Last habe ich immer geschwiegen; ein Mann hätte mich nicht verstanden, und die Frauen, denen ging es doch genau wie mir. Und so tratschten wir lieber über Kleider, Freundinnen und Theater und lachten, die heimliche verzehrende Sorge in den Augen. Jede von uns wußte darum, und deshalb redeten wir nie darüber. Es war eben der Preis, den man für die Fähigkeit bezahlte, lieben zu können.
Später habe ich Luchs davon erzählt, nur so, um das Reden nicht zu verlernen. Er wußte gegen jedes Übel nur ein Heilmittel, einen netten kleinen Wettlauf im Wald. Die Katze hört mir zwar aufmerksam zu, aber nur solange ich nicht die geringste Gemütsbewegung zeige. Sie mißbilligt schon den leisesten Hauch von Hysterie und geht einfach weg, wenn ich mich gehenlasse. Bella pflegt mir, auf alles, was ich zu sagen habe, einfach das Gesicht abzuschlecken; das ist zwar tröstlich, aber keine Lösung. Es gibt ja auch keine Lösung, sogar meine Kuh weiß es, nur ich wehre mich immer wieder gegen das Leiden.
Ende Juni veränderte sich die Katze auf eine sehr verdächtige Weise. Sie wurde dick und mürrisch. Manchmal hockte sie stundenlang in häßlicher, brütender Stellung auf einem Fleck und schien in sich hineinzuhorchen. Wenn Luchs sich ihr näherte, bekam er ein grobes Kopfstück, und zu mir war sie entweder übertrieben unfreundlich oder zärtlicher als je zuvor. Ihr Zustand schien mir, da sie nicht krank war und fraß, ganz eindeutig. Während ich immer nur an das Kalb gedacht hatte, waren in der Katze winzige Kätzchen gewachsen. Ich gab ihr viel Milch, und sie hatte auch mehr Durst als früher.
Am siebenundzwanzigsten Juni, einem gewittrigen Tag, hörte ich nach dem Abendessen aus dem Kasten leises Wimmern. Ich hatte den Kasten offenstehen lassen, als ich in den Stall gegangen war, und in ihm lagen ein paar alte Magazine von Luise. Auf ihnen hatte die Katze ihr Wochenbett gehalten, genau auf dem Titelbild der »Eleganten Dame«.
Die Katze schnurrte laut und sah aus großen feuchten Augen stolz und glücklich zu mir auf. Ich durfte sie sogar streicheln und ihre Jungen ansehen. Eines war graugetigert wie die Mutter und eines schneeweiß und zerzaust. Das Graue war tot. Ich trug es weg und begrub es neben dem Stall. Die Katze schien es nicht zu vermissen, sie ging ganz in der Pflege des weißen zausigen Dings auf.
Als Luchs seinen Schädel neugierig in den Kasten steckte, wurde er wütend angefaucht und floh erschreckt und empört ins Freie. Die Katze blieb im
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