Die Wand
es gewesen wäre, hier im Wald meine Kinder großzuziehen. Ich glaube, das wäre für mich das Paradies gewesen. Aber ich zweifle daran, daß es auch meinenKindern so gut gefallen hätte. Nein, es wäre doch nicht das Paradies gewesen. Ich glaube, es hat nie ein Paradies gegeben. Ein Paradies könnte nur außerhalb der Natur liegen, und ein derartiges Paradies kann ich mir nicht vorstellen. Der Gedanke daran langweilt mich, und ich habe kein Verlangen danach.
Am zwanzigsten Juli fing ich mit der Heuernte an. Das Wetter war sommerlich heiß, und das Gras auf der Bachwiese stand hoch und saftig. Ich trug Sense, Rechen und Gabel zum Heustadel und ließ das Werkzeug in Zukunft dort, denn es gab ja keinen Menschen, der es hätte stehlen können.
Als ich so am Bachesrand stand und die Bergwiese hinaufsah, hatte ich das Gefühl, diese Arbeit niemals bewältigen zu können. Ich habe als junges Mädchen mähen gelernt, und es hat mir damals Spaß gemacht nach dem langen Sitzen in muffigen Schulzimmern. Aber das lag mehr als zwanzig Jahre zurück, und ich hatte es sicher längst verlernt. Ich wußte, daß man nur am frühen Morgen mähen kann oder abends, wenn schon Tau liegt, und so war ich schon um vier Uhr von der Hütte aufgebrochen. Sobald ich die ersten paar Schwünge gemäht hatte, merkte ich, daß ich den Rhythmus noch in mir hatte, und lockerte meine verkrampften Muskeln. Es ging natürlich noch sehr langsam und strengte mich übermäßig an. Am zweiten Tag gelang es mir schon viel besser, und am dritten Tag regnete es, und ich mußte eine Pause einlegen. Es regnete vier Tage, und das Heu verfaulte auf der Wiese, nicht alles, aber der Teil, der im schattigen Grund lag. Damals verstand ich die verschiedenen Anzeichen noch nicht, nach denen ich jetzt das Wetter bis zu einem gewissen Grad voraussehen kann. Ich wußte nie, würde es jetzt schön bleiben oder am nächsten Tag regnen. Die ganze Heuernte hindurch hatteich mit unsicherem Wetter zu kämpfen. Später gelang es mir immer, die günstigste Zeit zu erkennen, in jenem ersten Sommer aber war ich dem Wetter hilflos ausgeliefert.
Ich brauchte drei Wochen, um die Wiese abzuernten. Daran war nicht nur das veränderliche Wetter schuld, sondern auch meine Ungeschicklichkeit und körperliche Schwäche. Als im August das Heu endlich trocken im Stadel war, war ich so erschöpft, daß ich mich auf die Wiese setzte und weinte. Ich erlitt einen schweren Anfall von Mutlosigkeit und erfaßte zum erstenmal ganz klar, welcher Schlag mich getroffen hatte. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, hätte mich die Verantwortung für meine Tiere nicht dazu gezwungen, wenigstens die notwendigsten Dinge zu tun. Ich erinnere mich sehr ungern an diese Zeit. Es dauerte vierzehn Tage, bis ich mich endlich wieder aufraffen konnte und wieder zu leben anfing. Luchs hatte unter meiner schlechten Verfassung sehr gelitten. Er war ja völlig abhängig von mir. Immer wieder versuchte er, mich aufzumuntern, und wenn ich nicht auf ihn einging, wurde er völlig ratlos und verkroch sich unter dem Tisch. Ich glaube, er tat mir schließlich so leid, daß ich anfing, gute Laune zu heucheln, bis ich wieder in eine ruhige, gleichmäßige Stimmung glitt.
Ich bin von Natur aus nicht launenhaft. Ich glaube, es war einfach die körperliche Erschöpfung, die mich damals so widerstandslos werden ließ.
Eigentlich hatte ich ja alle Ursache, zufrieden zu sein. Die gewaltige Arbeit der Heuernte lag hinter mir. Was machte es schon aus, daß sie mich zuviel Kraft gekostet hatte? Um einen neuen Anfang zu machen, jätete ich den Erdapfelacker und ging dann daran, Holz für den kommenden Winter zu schneiden. An diese Arbeit ging ich mit einiger Vernunft heran. Wahrscheinlich zwangmich einfach meine Schwäche dazu. Ein großer Scheiterstoß, genau sieben Raummeter, stand gleich oberhalb der Hütte neben der Straße. Es war der Wintervorrat eines Herrn Gassner, wie mit blauer Kreide darauf vermerkt war. Herr Gassner, wer immer das sein mochte, hatte keinen Bedarf mehr an Brennholz.
Ich legte die Scheiter auf einen Sägebock aus der Garage und fand sogleich, daß ich mit der Säge sehr schlecht fertig wurde. Immer wieder blieb sie im Holz stecken, und ich mußte mich plagen, um sie wieder herauszubekommen. Am dritten Tag begriff ich endlich, das heißt, meine Hände, Arme und Schultern begriffen, und plötzlich war es, als hätte ich mein Leben lang nur Holz gesägt. Ich arbeitete langsam, aber stetig weiter. Meine Hände
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