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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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sehr deutlich an jenen Ausflug; vielleicht weil er der erste war und sich wie ein Gipfel aus dem monatelangen Einerlei meiner täglichen Mühen erhebt. Übrigens bin ich diesen Weg seither nicht mehr gegangen. Ich hatte es immer tun wollen, aber es kam nicht mehr dazu, und ohne Luchs wage ich nicht mehr weitere Ausflüge zu unternehmen. Ich werde nie mehr über den Alpenrosen in der Mittagssonne sitzen und auf die große Stille lauschen.
    Der Schlüssel zur Hütte hing an einem Nagel unter einer losen Schindel und war nicht schwer zu finden. Ich ging sofort daran, die Hütte zu durchsuchen. Sie war natürlich viel kleiner als das Jagdhaus und bestand nur aus einer Küche und einer kleinen Schlafkammer. Ich fand ein paar Decken, ein Segeltuch und zwei steinharte Keilkissen. Sie und die Decken brauchte ich nicht; das Segeltuch war regendicht, und ich nahm es mit. Kleidungsstücke fand ich hier nicht. In der Küche gab es in einem Kästchen über dem Herd Mehl, Schmalz, Zwieback, Tee, Salz, Eierpulver und einen kleinen Sack gedörrter Zwetschen, die der Jäger als Allheilmittel betrachtet haben mußte, denn ich erinnere mich, daß er immerzu daran kaute. Außerdem fand ich in der Tischlade ein Paket schmutziger Tarockkarten. Ich kenne das Spiel nur vom Zuschauen, aber die Karten gefielen mir, und so nahm ich sie mit. Später erfand ich mit ihnen ein neues Spiel, ein Spiel für eine einsame Frau. Viele Abende habe ich damit verbracht, die alten Tarockkarten zu legen. Ihre Figuren waren mir so vertraut, als hätte ich sie schon ewig gekannt. Ich gab ihnen Namen, und einige mochte ich lieber als die andern. Meine Beziehungen zu ihnen wurden so persönlich wie zu den Figuren eines Romans von Dickens, den man schon zwanzigmal gelesen hat. Heute spiele ich dieses Spiel nicht mehr.Eine Karte hat Tiger, der Sohn der Katze, aufgefressen, und eine hat Luchs mit den Ohren in ein Schaff Wasser gefegt. Ich möchte nicht ständig an Luchs und Tiger erinnert werden. Aber gibt es denn im Jagdhaus irgend etwas, was mich nicht an sie erinnert?
    In der oberen Jagdhütte fand ich auch eine alte Weckeruhr, die mir noch sehr nützlich wurde. Ich besaß zwar den kleinen Reisewecker und die Armbanduhr, aber der Reisewecker fiel mir bald darauf aus der Hand, und die Armbanduhr zeigte die Zeit nie genau an. Heute besitze ich nur noch den alten Wecker aus der Jagdhütte, aber auch er steht schon lange still. Ich richte mich nach der Sonne oder, wenn sie nicht scheint, nach dem Einflug und Abflug der Krähen und verschiedenen anderen Anzeichen. Ich möchte wissen, wo die genaue Uhrzeit geblieben ist, jetzt, da es keine Menschen gibt. Manchmal fällt mir ein, wie wichtig es einmal war, ja nicht fünf Minuten zu spät zu kommen. Sehr viele Leute, die ich kenne, schienen ihre Uhr als kleinen Götzen zu betrachten, und ich fand das auch immer vernünftig. Wenn man schon in der Sklaverei lebt, ist es gut, sich an die Vorschriften zu halten und den Herrn nicht zu verstimmen. Ich habe der Zeit, der künstlichen, vom Ticken der Uhren zerhackten Menschenzeit, nicht gerne gedient, und das hat mich oft in Schwierigkeiten gebracht. Ich habe Uhren nie gemocht, und jede meiner Uhren ist nach einiger Zeit auf rätselhafte Weise zerbrochen oder verschwunden. Die Methode der systematischen Uhrenvernichtung habe ich aber sogar vor mir selbst verheimlicht. Heute weiß ich natürlich, wie das alles geschehen ist. Ich habe ja so viel Zeit, nachzudenken, und im Lauf der Zeit werde ich mir noch auf alle Schliche kommen.
    Ich kann es mir leisten, es hat keinerlei Folgen für mich. Selbst wenn mir plötzlich die aufregendsten Erkenntnissezuteil würden, wäre es ganz ohne Bedeutung für mich. Ich müßte weiterhin zweimal täglich den Kuhstall ausmisten, Holz hacken und Heu die Schlucht heraufschleppen. Mein Kopf ist frei, er darf treiben, was er will, nur die Vernunft darf ihn nicht verlassen, die Vernunft, die er braucht, um mich und die Tiere am Leben zu erhalten.
    In der oberen Hütte lagen auf dem Küchentisch zwei Zeitungen vom elften April, ein ausgefüllter Totozettel, eine halbe Schachtel billiger Zigaretten, Zünder, eine Spule Zwirn, sechs Hosenknöpfe und zwei Nadeln. Die letzten Spuren, die der Jäger im Wald zurückgelassen hatte. Eigentlich hätte ich seine Habseligkeiten in einem großen lodernden Feuer verbrennen sollen. Der Jäger war ein ordentlicher, braver Mann, und es wird ihn bis zum Ende der Zeiten nicht wieder geben. Ich hatte ihn immer viel

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