Die Wand
von meinen Beeren ab. Unter den Fichten und Buchen hing die Hitze wie unter einer großen grünen Glocke gefangen. Die Wolkenwandnäherte sich bedrohlich und die Sonne lag hinter Schleiern. Das letzte Stück des Weges rannte ich fast. Ich wollte nichts als heimkommen, Bella in den Stall führen und mich dann im Haus verschanzen.
Luchs empfing mich winselnd und sah besorgt und voll Unruhe zum Himmel auf. Er fühlte das nahende Gewitter. Bella kam sofort angetrabt, trank am Brunnen und ließ sich dann willig in den Stall führen. Die Fliegen und Bremsen hatten sie den ganzen Tag geärgert, und sie schien froh zu sein, in ihren Stall zu kommen. Ich molk sie, schloß die Fensterläden und drehte den Schlüssel im Schloß um; der Riegel schien mir bei einem Sturm nicht sicher genug.
Dann ging ich in die Hütte, fütterte Luchs und die Katzen, preßte die Beeren aus und füllte den Saft in Flaschen. Ich stellte die Flaschen aber noch nicht in den Brunnen, damit sie bei einem Sturm nicht zerschlagen würden. Inzwischen war es sechs oder halb sieben geworden. Der Himmel hatte sich ganz verfinstert, und sein Grauschwarz zeigte jetzt einen häßlichen Hauch von Schwefelgelb. Das konnte Hagel oder Sturm bedeuten und sah beängstigend aus. Obgleich die Sonne nur noch als diffuses Licht über dem Wald lag, hing die schreckliche Hitzeglocke noch immer über der Lichtung. Das Atmen fiel mir schwer. Nicht der leiseste Windhauch war zu spüren. Ich trank ein wenig kalte Milch und aß, ganz ohne Appetit, ein Stückchen Reiskuchen. Dann gab es nichts mehr zu tun für mich. So ging ich nach oben und überprüfte die Fensterläden in den Kammern. Dann sicherte ich auch das Fenster in der Schlafkammer. Das Küchenfenster stand noch offen, ebenso die Tür, aber keine Zugluft war zu spüren.
Die alte Katze war nach dem Füttern in den Wald gegangen. Perle saß auf dem Fensterbrett und starrte inden schwarzgelben Himmel. Sie hatte die Ohren zurückgelegt und die Schulterblätter hochgezogen, und ihre ganze Haltung drückte Unbehagen und Furcht aus. Luchs lag auf der Türschwelle, ließ die Zunge heraushängen und hechelte laut. Ich streichelte Perle, und ihr weißes Fell knisterte und sprühte unter meiner Hand. Auch mein Haar knisterte, wenn ich darüberfuhr, und auf meinen Armen und Beinen krabbelte es wie von Ameisen. Ich beschloß, ganz ruhig zu bleiben, und setzte mich auf die Bank vor der Hütte. Die arme Bella in ihrem schwülen, finsteren Gefängnis tat mir leid, aber sie mußte es eben ertragen, ich konnte ihr nicht helfen. Das Gewitter konnte jeden Augenblick losbrechen. Aber immer noch blieb es ruhig.
Im Wald ist es nie ganz still. Man glaubt nur, es wäre still, aber immer gibt es eine Menge Geräusche. Ein Specht klopft in der Ferne, ein Vogel schreit, der Wind knistert im Waldgras, ein Ast schlägt an einen Stamm, und die Zweige rascheln, wenn kleine Tiere unter ihnen durchschlüpfen. Alles lebt, alles arbeitet. Aber an jenem Abend war es wirklich fast still. Das Verstummen der vielerlei vertrauten Geräusche machte mir angst. Sogar das Plätschern des Brunnens klang verhalten und gedämpft, als bewegte sich auch das Wasser nur träge und unwillig. Luchs stand auf, sprang mühsam zu mir auf die Bank und stieß mich sanft mit der Schnauze an. Ich war zu matt, um ihn zu streicheln, aber ich redete ihm zu, leise und eingeschüchtert von der schrecklichen Stille.
Ich verstand nicht, was das Gewitter daran hinderte, endlich loszubrechen. Es war dunkel wie am späten Abend, und mir fiel ein, wie harmlos und fast gemütlich die Gewitter in der Stadt gewesen waren. Es war so beruhigend gewesen, sie durch dicke Scheiben zu beobachten. Meistens hatte ich sie kaum bemerkt.
Dann wurde es ohne Übergang stockfinster. Ich stand auf und ging mit Luchs ins Haus. Ich war ein wenig ratlos und wußte nicht, was ich tun sollte. So zündete ich eine Kerze an. Die Lampe wollte ich nicht brennen, wohl aus dem alten Aberglauben heraus, daß Licht den Blitz anzieht. Ich versperrte die Tür, ließ aber das Fenster noch offenstehen und setzte mich dann zum Tisch. Die Kerze brannte steil und ruhig, von keinem Hauch bewegt. Luchs ging zum Ofenloch, blieb zögernd stehen, kehrte um und sprang wieder zu mir auf die Bank. Er wollte mich in der Gefahr nicht allein lassen, obgleich alles ihn dazu trieb, sich ins Ofenloch, in die sichere Höhle zu verkriechen. Auch ich hätte mich am liebsten in eine sichere Höhle verkrochen, aber für mich gab es sie
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