Die Wand
und die Katze. Die Dunkelheit war plötzlich hereingebrochen, und der Wind rüttelte an den Fensterläden. Ich zündete die Lampe an, setzte mich zum Tisch und versuchte, in einem Kalender zu lesen, aber immer wieder glitt mein Blick in den dämmrigen Hintergrund zur Katzentür. Und dann gab es ein schabendes Geräusch, und Perle kroch um die Ecke des Kastens.
Die alte Katze reckte sich hoch, schrie laut auf und sprang vom Bett. Ich glaube, dieser Schrei war es, der mich so erschreckte, daß ich nicht sofort aufstehenkonnte. Perle kam langsam näher, in einem schrecklichen blinden Kriechen und Gleiten, als wäre ihr jeder Knochen gebrochen. Vor meinen Füßen versuchte sie sich aufzurichten, brachte einen erstickten Laut heraus und fiel mit dem Kopf hart auf den Boden. Ein Blutstrom quoll aus ihrem Maul; sie zitterte und streckte sich lang aus. Als ich neben ihr kniete, war sie schon tot. Luchs stand neben mir und wich winselnd vor seiner blutigen Gespielin zurück. Ich streichelte das klebrignasse Fell, und es war mir, als hätte ich seit Perles Geburt diese Stunde erwartet. Ich wickelte sie in ein Tuch, und am Morgen begrub ich sie auf der Waldwiese. Der ausgetrocknete Holzboden hatte durstig ihr Blut aufgesaugt. Der Fleck ist zwar verblaßt, aber ich werde ihn nie wegbringen. Luchs suchte Perle tagelang, dann schien er einzusehen, daß sie für immer weggegangen war. Er hatte sie sterben sehen, aber den Zusammenhang schien er nicht zu begreifen. Die alte Katze lief auf zwei Tage weg und nahm dann ihr gewohntes Leben wieder auf.
Ich habe Perle nicht vergessen. Ihr Tod war der erste Verlust, den ich im Wald erlitt. Wenn ich an sie denke, sehe ich sie selten in ihrer weißen Pracht auf der Bank sitzen und den kleinen blauen Schmetterlingen nachstarren. Meistens sehe ich sie als armseligen blutbefleckten Balg, die Augen halb offen und gebrochen, die rosige Zunge zwischen die Zähne geklemmt. Ich kann es nicht ändern. Es hat keinen Sinn, sich gegen die Bilder zu wehren. Sie kommen und gehen, und je mehr ich mich gegen sie wehre, desto grausiger werden sie.
Perle war begraben, und der Föhn erstarb über Nacht, als hätte er seine Aufgabe erfüllt. Neuer Schnee fiel vom Himmel, das Röhren der Hirsche wurde schwächer und verstummte nach einigen Tagen ganz. Ich ging meinerArbeit nach und versuchte, der Traurigkeit nicht nachzugeben, die mich überfallen hatte. Es war jetzt endlich winterliche Ruhe, aber nicht die Ruhe, die ich mir gewünscht hatte. Ein Opfer war gefallen, und nicht einmal die Wärme des Ofens und das Licht der Lampe konnten Behagen in die Hütte zaubern. Es lag mir jetzt auch nichts mehr an diesem Behagen, und zu Luchs' Freude ging ich viel mit ihm in den Wald. Dort war es kalt und unwirtlich, und das war leichter zu ertragen als die falsche Gemütlichkeit meines warmen, sanft erhellten Heims.
Es fiel mir schwer, ein Stück Wild zu schießen. Ich mußte mich zum Essen zwingen und wurde wieder mager wie nach der Heuernte. Diesen Abscheu vor dem Töten verlor ich nie. Er muß mir angeboren sein, und ich mußte ihn immer wieder von neuem überwinden, wenn ich Fleisch brauchte. Ich verstand jetzt, warum Hugo Luise und seinen Geschäftsfreunden den Abschuß überlassen hatte. Manchmal denke ich, es ist schade, daß nicht Luise am Leben geblieben ist; wenigstens mit der Fleischversorgung hätte sie keine Schwierigkeit. Aber sie wollte ja niemals in irgendeiner Sache zurückstehen, und so schleppte sie auch den armen Hugo in sein Verderben. Vielleicht sitzt sie immer noch am Wirtshaustisch, ein lebloses erstarrtes Ding mit bemalten Lippen und rotblonden Locken. Sie lebte so gerne und machte immerzu alles falsch, weil man in unserer Welt nicht ungestraft so gerne leben durfte. Als sie noch lebte, war sie mir sehr fremd und stieß mich manchmal ab. Aber die tote Luise habe ich beinahe liebgewonnen, vielleicht, weil ich jetzt so viel Zeit habe, über sie nachzudenken. Im Grunde wußte ich nie mehr über sie, als ich heute über Bella oder die Katze weiß. Nur ist es eben viel leichter, Bella oder die Katze zu lieben, als einen Menschen.
Am sechsten November unternahm ich mit Luchs einen weiten Gang und folgte einem fremden Pfad. Mein Orientierungssinn ist sehr schlecht entwickelt. Ich neige dazu, immer in die falsche Richtung zu gehen. Aber Luchs brachte mich jedesmal gut nach Hause, wenn ich mich verirrt hatte. Heute gehe ich nur noch die altvertrauten Wege, ich müßte mir sonst Zeichen in die Bäume
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