Die Wand
schneiden, um zurückzufinden. Ich habe auch gar keine Ursache, wild im Wald herumzuirren. Das Wild begeht seine alten Wechsel, und die Wege zum Acker und zur Bachwiese finde ich im Schlaf. Aber wenn ich es auch nicht sehen will, ohne Luchs bin ich eine Gefangene des Kessels geworden.
An jenem sechsten November, einem kühlen, sonnigen Tag, konnte ich mir noch einen Ausflug in unbekanntes Gebiet erlauben. Der Schnee war wieder geschmolzen, und rotbraunes Laub bedeckte glatt und feuchtglänzend die Pfade. Ich kletterte eine Anhöhe hinauf, überquerte eine Holzriese, die naß und gefährlich rutschig zu Tal führte. Dann erreichte ich eine kleine ebene Hochfläche, dicht mit Buchen und Fichten bestanden, auf der ich eine Weile ausruhte. Gegen Mittag brach die Sonne durch den Nebel und wärmte meinen Rücken. Luchs geriet darüber in Entzücken und sprang begeistert an mir hoch. Er wußte, daß dies kein Pirschgang war, ich hatte das Gewehr nicht mitgenommen, und daß er sich einige Freiheiten erlauben durfte. Seine Pfoten waren naß und schmutzig, und ein wenig Laub und Sand blieben auf meinem Mantel haften. Schließlich beruhigte er sich wieder und trank aus einem winzigen Bach, der wohl nur jetzt nach der kleinen Schneeschmelze Wasser führte.
Wie immer, wenn ich im Wald mit Luchs unterwegs war, kam eine gewisse Ruhe und Heiterkeit über mich. Ich hatte nichts anderes vor, als dem Hund ein wenigBewegung zu verschaffen und mich selbst vom fruchtlosen Denken abzuhalten. Das Gehen im Wald lenkte mich von mir ab. Es tat mir gut, langsam auszuschreiten, zu schauen und die kühle Luft zu atmen. Ich folgte dem kleinen Bach bergab. Das Wasser wurde fadendünn, und ich ging schließlich im Bachbett weiter, weil der Steig ganz verwachsen war und ich beim Durchschreiten und Auseinanderhalten der Zweige jedesmal einen Schauer kalten Wassers in den Nacken bekam. Luchs fing an, unruhig zu werden und setzte sein Dienstgesicht auf. Er folgte einer Spur. Lautlos, die Nase dicht am Boden, lief er vor mir her. Von einer kleinen Höhle, die das Wasser am Ufer ausgewaschen hatte und die von einem Haselbusch halb verdeckt war, blieb er stehen und zeigte einen Fund an. Er war aufgeregt, aber nicht so freudig wie sonst, wenn er ein Wild ausgemacht hatte.
Ich bog die tropfenden Zweige auseinander und sah in der Dämmerung der Höhle, eng an die Wand gedrückt, eine tote Gemse. Es war ein erwachsenes Tier, das jetzt im Tod sonderbar klein und schmal aussah. Deutlich konnte ich den weißlichen Aussatz der Räude erkennen, der Stirn und Augen bedeckte wie ein übler Pilz. Ein ausgestoßenes einsames Tier, heruntergestiegen aus den Geröllfeldern, den Latschen und Alpenrosen, um sich sterbend und blind in diese Höhle zu verkriechen. Ich ließ die Zweige zurückfallen und scheuchte Luchs weg, der einer näheren Untersuchung nicht abgeneigt schien. Er gehorchte nur widerwillig und folgte mir zögernd bergab. Ich war plötzlich müde und wollte nach Hause. Luchs merkte, daß mich das tote räudige Ding verstimmt hatte, und ließ betrübt den Kopf hängen. Unser Ausflug, der so freundlich angefangen hatte, endete damit, daß wir beide schweigsam dahintrotteten, bis das Bächlein wunderbarerweise in den vertrautenBach mündete und wir durch die Schlucht heimgehen mußten. Eine Forelle stand regungslos im grünbraunen Tümpel, und bei ihrem Anblick fing ich an zu frieren. Die Felsen in der Schlucht sahen kalt und düster aus, und von der Sonne merkte ich an diesem Tag nichts mehr, denn als wir die Hütte erreichten, war sie längst hinter Nebelschleiern verborgen. Die Feuchtigkeit der Schlucht lag wie ein nasses Tuch auf meinem Gesicht.
Auf den Fichten saßen die Krähen. Als Luchs sie verbellte, flatterten sie auf und ließen sich auf entfernteren Bäumen wieder nieder. Sie wußten genau, daß dieses Gebell keine Gefahr für sie bedeutete. Luchs mochte die Krähen nicht und versuchte immer, sie zu vertreiben. Später fand er sich widerwillig mit ihnen ab und wurde ein wenig duldsamer. Ich habe nichts gegen die Krähen und überlasse ihnen die spärlichen Küchenabfälle. Manchmal gab es auch reichliche Mahlzeiten für sie, wenn ich ein Stück Wild geschossen hatte. Eigentlich sind sie schöne Vögel mit ihrem schillernden Gefieder, den dicken Schnäbeln und den glänzenden schwarzen Augen. Oft finde ich im Schnee eine tote Krähe. Am nächsten Morgen ist sie schon verschwunden. Ein Fuchs mag sie geholt haben. Vielleicht der Fuchs, der Perle
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