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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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schlief fest ein. Er fühlte sich in Sicherheit, weil sein Mensch zu ihm zurückgekommen war, aus einer fremden Welt, in die er ihm nicht hatte folgen können. Ich legte mein Kartenspiel und hatte keine Angst mehr. Ob die Nacht schlimm werden sollte oder gut, ich wollte sie nehmen, wie sie kam, und mich nicht gegen sie wehren.
    Um zehn Uhr schob ich Luchs vorsichtig von mir, legte die Karten zusammen und ging zu Bett. Ich lag lang ausgestreckt in der Dunkelheit und sah schläfrig in den rosigen Schein, der aus dem Herd auf den dunklen Boden fiel. Meine Gedanken kamen und gingen ganz unbehindert, und ich fürchtete mich noch immer nicht. Die Lichter auf dem Boden hörten auf zu tanzen, und mein Kopf war ein wenig schwindlig von den vielen Gedanken. Ich wußte jetzt, was alles falsch gewesen war und wie ich es hätte besser machen können. Ich war sehr weise, aber meine Weisheit kam zu spät, und selbst weise geboren, hätte ich nichts vermocht in einer Welt, die nicht weise war. Ich dachte an die Toten, und sie taten mir sehr leid, nicht weil sie tot waren, sondern weil sie alle im Leben so wenig Freude gefunden hatten. Ich dachte an alle Menschen, die ich gekannt hatte, und ich dachte gern an sie; sie gehörten zu mir bis zu meinem Tod. Ich mußte ihnen einen sicheren Platz in meinem neuen Leben einräumen, wenn ich in Frieden leben wollte. Ich schlief ein und glitt hinunter zu meinen Toten, und es war anders als in den Träumen zuvor. Ich hatte keine Furcht, ich war nur traurig, und diese Trauer erfüllte mich bis zum Rand. Ich erwachtedavon, daß die Katze auf mein Bett sprang und sich an mich schmiegte. Ich wollte die Hand nach ihr ausstrecken, aber ich schlief wieder ein und schlief traumlos bis zum Morgen. Beim Erwachen war ich müde, aber froh, als hätte ich eine schwere Arbeit hinter mich gebracht.
    Von da an wurde es besser mit meinen Träumen, ganz langsam verblaßten sie, und der Tag gewann mich zurück. Das erste, was ich merkte, war, daß mein Holzvorrat zusammengeschrumpft war. Das Wetter war trüb und nicht zu kalt, und ich beschloß, die günstigen Tage zu nützen und mich um das Holz zu kümmern. Ich schleifte die Scheite über den Schnee und fing mit dem Sägen an. Ich hatte Lust zu arbeiten, und ich konnte ja auch nicht wissen, wie das Wetter noch werden sollte. Ich konnte krank werden, Kälte konnte hereinbrechen und mich am Holzschneiden hindern. Meine Hände waren bald wieder mit Blasen bedeckt, aber nach einigen Tagen wurden die Blasen zu Schwielen und hörten auf zu schmerzen.
    Nachdem ich genügend Holz zersägt hatte, ging ich daran, es zu zerkleinern. Einmal, ich war ein wenig unaufmerksam gewesen, hackte ich mich über dem Knie. Es war keine tiefe Wunde, aber sie blutete stark, und es wurde mir klar, wie vorsichtig ich sein mußte. Es fiel mir nicht leicht, aber ich gewöhnte mich daran. Jeder, der allein im Wald lebt, muß vorsichtig werden, wenn er am Leben bleiben will. Die Wunde über dem Knie hätte vernäht gehört und hinterließ ein breite wulstige Narbe, die mich bei jedem Wetterwechsel schmerzt. Im übrigen hatte ich aber viel Glück. Alle Wunden, die ich mir zuzog, heilten rasch und ohne Eiterung. Damals besaß ich noch Heftpflaster, jetzt binde ich einfach ein Stück Stoff darum, und es heilt auch so.

Den ganzen Winter hindurch wurde ich nie krank. Ich war immer anfällig gegen Erkältungen gewesen, plötzlich schien ich ganz davon geheilt zu sein. Und das, obgleich ich mich nicht schonen konnte und manchmal erschöpft und durchnäßt nach Hause kam. Die Kopfschmerzen, unter denen ich früher häufig gelitten hatte, waren schon seit dem Frühsommer nicht mehr aufgetreten. Mein Kopf tat nur noch weh, wenn ein Scheit gegen ihn sprang. Natürlich spürte ich am Abend sehr oft alle Muskeln und Knochen, besonders nach der Holzarbeit oder wenn ich Heu die Schlucht heraufgezogen hatte. Ich war nie sehr kräftig, nur zäh und ausdauernd. Allmählich kam ich dahinter, was ich mit meinen Händen alles tun konnte. Hände sind ein wunderbares Werkzeug. Manchmal bildete ich mir ein, daß Luchs, wären ihm plötzlich Hände gewachsen, bald auch zu denken und zu reden angefangen hätte.
    Natürlich gibt es immer noch eine Menge Arbeiten, mit denen ich nicht fertig werde, aber ich bin ja auch erst mit vierzig darauf gekommen, daß ich Hände besitze. Man darf nicht zuviel von mir verlangen. Der größte Erfolg wäre es wohl, wenn ich die Tür zu Bellas neuem Stall richtig einsetzen könnte.

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