Die Wand
ganz unerbittlich war, durfte Luchs für mich einspringen. Allerdings schien es beiden dann wenig Spaß zu machen.
Nach einer kleinen Rast kümmerte ich mich um die Milch. Immer gab es irgend etwas mit ihr zu tun. Rahm wurde abgeschöpft, die Magermilch bekam Stier zum größten Teil. Manchmal konnte ich auch Butter rühren oder die übriggebliebene Butter zu Butterschmalz zerlassen. Natürlich wurde mein Schmalzvorrat nie sehrgroß. Es dauerte viele Tage, bis ich genügend Rahm abgeschöpft hatte. Ich trank selber viel Milch, um mich bei der eintönigen Ernährung gesund zu erhalten, und für Luchs und Tiger brauchte ich auch täglich ein bißchen. Dann wurde die Hütte aufgeräumt, das Bett gelüftet, gewaschen oder geputzt und das Mittagessen bereitet. Es war kaum der Rede wert, und ich suchte meist auf der Wiese nach ein paar eßbaren Kräutern, um das Fleisch ein wenig damit zu würzen. Es gab auf der Wiese auch Pilze, aber ich kannte sie nicht und wagte nicht, sie zu essen. Sie sahen sehr verlockend aus, aber da Bella sie nicht anrührte, bezwang ich meinen Hunger.
Nach dem Mittagessen setzte ich mich auf die Bank und versank in schläfriges Dösen. Die Sonne schien auf mein Gesicht und mein Kopf wurde schwer vor Müdigkeit. Wenn ich merkte, daß ich am Einschlafen war, stand ich auf und ging mit Luchs in den Wald. Diesen täglichen Ausflug brauchte er wie Tiger sein Morgenspiel. Wir gingen meist zum Aussichtspunkt, und ich sah mit dem Glas übers Land. Eigentlich tat ich es nur noch aus Gewohnheit. Die Kirchtürme leuchteten immer gleich rot, nur die Farbe der Wiesen und Felder veränderte sich ein wenig. Bei Föhn war alles zum Greifen nahe und ganz bunt, bei Ostwind lag das Land hinter feinen bläulichen Schleiern, und manchmal sah ich gar nichts, wenn der Nebel über dem Fluß lag. Ich blieb nie lange sitzen, es war für Luchs zu langweilig, schlug mich in einem weiten Bogen in den Wald und kehrte meist gegen vier oder fünf Uhr aus der entgegengesetzten Richtung zur Hütte zurück. Auf meinen Wanderungen sah ich nur Hochwild, Rehe kamen in diese Höhe nicht mehr herauf. Durch das Glas konnte ich manchmal auf den weißen Kalkfelsen ein paar Gemsen sehen. Im Lauf des Sommersfand ich vier tote Gemsen, die sich im Gebüsch verkrochen hatten. Wenn sie erblindeten, stiegen sie ins Tal. Die vier waren nicht weit gekommen. Der Tod hatte sie schnell eingeholt. Eigentlich gehörten sie alle abgeschossen, um die Seuche zum Erlöschen zu bringen und die armen Tiere von ihren Leiden zu erlösen. Aber ich hätte sie auf diese Entfernung nicht getroffen, und ich mußte mit meiner Munition sparsam umgehen. Also blieb mir nichts übrig, als das Elend mit anzusehen.
Nachdem wir unseren Ausflug hinter uns hatten, bezog Luchs die Bank und schlief in der Sonne ein. Sein Fell schien ihn zu schützen, denn er konnte stundenlang in der Hitze dösen. Ich beschäftigte mich währenddessen im Stall, sägte ein wenig Holz oder besserte irgend etwas aus.
Oft tat ich auch gar nichts und sah Bella und Stier zu, oder ich beobachtete einen Bussard, der seine Runden über dem Wald zog. Ich weiß nicht, ob es wirklich ein Bussard war, es könnte genausogut ein Falke oder Habicht gewesen sein. Ich hatte mir angewöhnt, alle Raubvögel Bussard zu nennen, weil mir dieses Wort so gut gefiel. Ich war immer ein wenig unruhig wegen Tiger, wenn der Bussard zu oft auftauchte. Glücklicherweise zog Tiger es vor, in der Nähe der Hütte zu bleiben, und schien eine Scheu davor zu haben, die weite Wiese zu überqueren, um in den Wald zu gelangen. Es gab auch rund um die Hütte genug Beute für ihn. Die fetten Heuschrecken sprangen sogar über die Türschwelle, genau vor Tigers Pfoten. Der Bussard gefiel mir sehr, wenn ich ihn auch fürchten mußte. Er sah sehr schön aus, und ich folgte ihm mit den Augen, bis er sich im Blau des Himmels verlor oder in den Wald niederstieß. Sein heiserer Schrei war die einzige fremde Stimme, die mich auf der Alm erreichte.
Am liebsten aber sah ich einfach über die Wiese hin. Sie war stets in leichter Bewegung, selbst wenn ich glaubte, es wäre windstill. Ein endloses sanftes Gekräusel, das Frieden und süßen Duft ausströmte. Lavendel wuchs hier. Almröserl, Katzenpfoten, wilder Thymian und eine Menge Kräuter, deren Namen ich nicht kannte, die aber ebensogut, nur wieder anders rochen als der Thymian. Tiger saß oft mit verdrehten Augen vor einem der duftenden Gewächse und war völlig unansprechbar. Er
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