Die Wand
Stall. Die ganze Nacht schneite es, und am Morgen lag der Schnee zehn Zentimeter hoch. Der Himmel war bedeckt, und der Wind blies kalt. Gegen Nachmittag wurde es wärmer, und es fiel ein wenig Regen. Ich sah jetzt deutlich, daß ich unsere Heimkehr nicht zu lange verzögern durfte.
Nach einer Woche erwachte ich davon, daß die Sonne auf mein Gesicht fiel. Es war wirklich noch einmal schön geworden. Die Luft war noch kalt, aber der Himmel klar und blaßblau. Die Sonne schien mir ein wenig matter und kleiner als zuvor, aber das bildete ich mir sicher nur ein. Der Tag wurde strahlend schön, aber irgend etwas hatte sich verändert. Von den Felsen schimmerte der erste Schnee und ließ mich frösteln. Luchs und Tiger standen schon an der Tür, und ich ließ sie ins Freie. Dann führte ich Bella und Stier auf die Weide. Die Luft roch nach Schnee, und es wurde erst mittags warm. Der Sommer war vorüber. Ich wollte jetzt doch mit dem Abtrieb von der Alm noch warten, und es blieb auch wirklich weiterhin schön bis zum zwanzigsten September. Am Abend mußte ich die Sterne durchs Fenster betrachten, im Freien war es schon viel zu kühl. Sie schienen sich weiter in den Raum zurückgezogen zu haben, und ihr Licht war kälter als in den vergangenen Sommernächten.
Ich nahm mein altes Leben wieder auf, ging mit Luchs spazieren, spielte mit Tiger und kümmerte mich um das Hauswesen. Aber auf seltsame Weise fühlte ich mich ein wenig ernüchtert. Eines Nachts, ich fing schon an im Bett zu frieren, sah ich ein, daß es gefährlich war, noch länger zuzuwarten. Ich packte am frühen Morgen die notwendigsten Dinge in den Rucksack, steckte Tiger in die verhaßte Schachtel, holte Bella und Stier aus dem Stall und war reisebereit. Um sieben Uhr brachen wir auf, und um elf erreichten wir das Jagdhaus. Zunächst befreite ich den jämmerlich klagenden Tiger aus seinem Gefängnis und sperrte ihn ins Haus. Bella und Stier ließ ich, nachdem sie am Brunnen getrunken hatten, auf der Lichtung weiden. Das Wetter war ja noch immer schön, und es war hier wärmer als auf der Alm. Als ich ins Haus kam, lag Tiger schon im Kasten, wo er sich sicher zu fühlen schien. Luchs begrüßte das Jagdhaus freudig. Er begriff, daß wir nach Hause gekommen waren, und begleitete mich, aufgeregt japsend, auf Schritt und Tritt. Bis zum späten Nachmittag war ich im Haus beschäftigt und kam erst nach dem Melken und nachdem ich Bella und Stier in ihren alten Stall gebracht hatte dazu, etwas zu essen. Das Feuer brannte im Herd, richtiges, knisterndes Feuer aus Buchenscheiten, und das Haus roch nach Luft und gewaschenem Holz. Luchs kroch ins Ofenloch, und auch ich ging müde zu Bett. Ich streckte mich lang aus, löschte die Kerze und schlief sofort ein.
Etwas stieß feucht und kalt gegen mein Gesicht und weckte mich mit kleinen Freudenschreien. Ich machte Licht, und dann nahm ich das graue, taufeuchte Bündel in die Arme und drückte es an mich. Die Katze war wirklich heimgekommen. Unter vielen Grrus, Guarrs und Miaus berichtete sie die Erlebnisse ihres langen einsamen Sommers. Ich stand auf und füllte ihre Schüssel mit warmerMilch, auf die sie sich gierig stürzte. Sie war abgemagert und ungepflegt, schien aber ganz gesund zu sein. Luchs kam herbei, und die beiden begrüßten einander fast zärtlich. Vielleicht hatte ich der Katze immer unrecht getan, weil ich sie für kühl und abweisend gehalten hatte. Anderseits sind ein warmer Herd, süße Milch und ein sicherer Platz im Bett schon ein wenig Geschrei wert. Jedenfalls waren wir alle glücklich vereint, und als ich wieder im Bett lag und den kleinen, vertrauten Körper an meinen Beinen spürte, war ich sehr froh, wieder daheim zu sein. Es war schön gewesen auf der Alm, schöner als es hier sein konnte, aber zu Hause war ich im Jagdhaus. Ich dachte fast mit Unbehagen an den Sommer zurück und war froh, ins gewöhnliche Leben zurückgekehrt zu sein.
In den folgenden Tagen hatte ich wenig Zeit für die Tiere. Jeden Morgen stieg ich mit Luchs auf die Alm und brachte große Rucksäcke voll Hausrat zurück. Es war weniger anstrengend als im Mai, weil es diesmal bergab ging. Nur das Butterfaß ließ wieder einige blaue Flecken auf meinem Rücken zurück. Als ich mich, ehe ich in den Wald trat, zum letztenmal umwandte, sah ich noch einmal die Wiese, vom Herbstwind gekräuselt, unter dem hohen blaßblauen Himmel. Ich gehörte schon nicht mehr in die große Weite und Stille. Ich wußte, daß es nie mehr so sein würde
Weitere Kostenlose Bücher