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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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Hitze zur Alm zu. Das Herz tat mir weh. Vielleicht nur von der Überanstrengung, es mochte aber auch vom Rheuma etwas zurückgeblieben sein. Selbst Luchs trabte unmutig hinter mir her und schien von lähmender Müdigkeit befallen. Ich dachte daran, daß die Arbeit für mich zu schwer wurde und die Nahrung zu eintönig war. Auch das Gehen tat weh, denn ich hatte mir in den harten Bergschuhen eine Blase auf der Ferse gewetzt, und der Strumpf klebte an der kleinen Wunde fest. Plötzlich schien mir alles, was ich tat, eine nutzlose Quälerei. Ich fand, ich hätte besser daran getan, mich rechtzeitig zu erschießen. Wenn ich aber dazu nicht imstande gewesen wäre, es ist nicht ganz leicht, sich mit einem Gewehr zu erschießen, hätte ich mich unter der Wand durchgraben sollen. Dort drüben gab es Nahrungsmittel für hundert Jahre oder einen raschen, schmerzlosen Tod. Worauf wartete ich eigentlich noch? Selbst wenn ich wunderbarerweise gerettet werden sollte, was konnte mir viel daran liegen, da doch alle Menschen, die ich geliebt hatte, tot sein mußten. Luchs wollte ich mitnehmen, die Katzen konnten sichallein fortbringen, und Bella und Stier, ja die mußte ich wohl töten. Sie würden im Winter verhungern.
    Die Wolkendecke war jetzt schiefergrau, und ein fahles Licht lag über dem Gebirge. Ich beeilte mich, vor dem Gewitter heimzukommen. Luchs hechelte hinter mir her. Ich war zu müde und zu verzagt, um ihn trösten zu können. Es war ja auch alles ganz sinnlos und gleichgültig.
    Als ich aus dem Wald trat, hörte ich das erste Grollen über mir. Ich ließ Luchs in die Hütte, zog die Schuhe aus und lief in den Stall, um Bella von ihrer Last zu befreien. Während der Stallarbeit brach das Gewitter los. Der Sturm fegte über die Matten hin, und die Wolken flogen tief und sahen graugelb und häßlich aus. Ich fürchtete mich und war gleichzeitig empört über die Gewalt, der ich mit meinen Tieren ausgeliefert war. Ich band Bella und Stier fest und schloß die Fensterläden. Stier drängte sich an seine Mutter, und sie leckte zärtlich und geduldig seine Nase ab, als wäre er noch ein hilfloses Kalb. Bella fürchtete sich nicht weniger als ich, aber sie versuchte Stier zu trösten. Während ich gedankenlos ihre Flanke streichelte, wußte ich plötzlich, daß ich nicht weggehen konnte. Es war vielleicht dumm von mir, aber so war es eben. Ich konnte nicht flüchten und meine Tiere im Stich lassen. Dieser Entschluß entsprang keiner Überlegung und keinem Gefühl. Etwas war mir eingepflanzt, das es mir unmöglich machte, Anvertrautes im Stich zu lassen. Mit einemmal wurde ich ruhig und fürchtete mich nicht mehr. Ich versperrte die Stalltür, daß der Sturm sie nicht aufreißen konnte, und rannte dann zur Hütte, bedacht, die Milch nicht zu verschütten. Der Wind knallte die Tür hinter mir zu, und ich verriegelte sie aufatmend. Ich zündete eine Kerze an und schloß die Läden. Endlich waren wir in Sicherheit, einer kleinen, armseligen Sicherheit, aber doch geschützt vor Regenund Sturm. Tiger und Luchs lagen schon aneinander-geschmiegt im Ofenloch und rührten sich nicht. Ich trank warme Milch und setzte mich an den Tisch. Es war dumm, die Kerze zu verbrennen, aber ich brachte es nicht fertig, im Finstern zu sitzen. So bemühte ich mich, nicht auf das Gebrüll in den Wolken zu hören, und untersuchte meinen schmerzenden Fuß. Die Blase war aufgesprungen und mit Blut verkrustet. Ich nahm ein Fußbad und strich nachher Jod auf die Wunde, mehr konnte ich nicht tun. Dann löschte ich doch die Kerze und legte mich angezogen aufs Bett. Durch die Spalten der Fensterläden sah ich die Blitze niederzucken. Endlich legte sich der Sturm ein wenig, und der Regen brach über die Alm herein. Es blitzte und donnerte noch lange, aber das Rauschen des Regens beruhigte mich. Der Donner ging nach langer Zeit in fernes Murren über, und gleich darauf erwachte ich und sah die Sonne durch die Läden schimmern. Tiger miaute klagend, und Luchs stieß mich mit der Schnauze an. Ich stand auf und riß die Tür auf, und die beiden stürzten ins Freie. Mir war kalt, denn ich hatte die ganze Nacht hindurch ohne Decke gelegen. Es war acht, und die Sonne stand schon über dem Wald. Nachdem ich Bella und Stier freigelassen hatte, blickte ich mich um.
    Die Wiese lag in feuchtem Morgenglanz, alle Schrecken der Nacht waren verflogen. Im Tal mochte es noch immer nieseln, und ich dachte, wie immer bei schlechtem Wetter, an die Katze. Nun, sie hatte dieses freie

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