Die Wand
füllte sie in Gläser, die ich mit Zeitungen zubinden mußte. Die letzten schönen Tage benützte ich dazu, mit der Sichel Streu für Bella und Stier zu mähen, und da ich schon dabei war, mähte ich auch ein Stück der Waldwiese für das Wild. Die Streu brachte ich über dem Stall und in einer der oberen Kammern unter, und das Heu gab ich, nachdem es trocken war, unter ein Schutzdach, wo auch früher schon das Heu für die Wildfütterung aufbewahrt worden war. Den Kartoffelacker ließ ich wie er war, und wollte ihn erst im Frühling umstechen und düngen.Dann war ich müde und ein wenig verwundert darüber, daß es mir wirklich gelungen war, Vorbereitungen für den Winter zu treffen. Aber schließlich hatte es ja immer wieder gute Jahre gegeben, warum sollte nicht auch mir ein gutes Jahr geschenkt werden?
Zu Allerheiligen wurde es plötzlich warm, und ich wußte, daß dies nur den Winter einleiten konnte. Den ganzen Tag über, während ich meine Arbeit tat, mußte ich an die Friedhöfe denken. Es lag kein besonderer Anlaß vor, aber ich konnte es nicht vermeiden, weil es so viele Jahre hindurch üblich gewesen war, zu dieser Zeit an die Friedhöfe zu denken. Ich stellte mir vor, wie das Gras die Blumen auf den Gräbern längst erstickt hatte, die Steine und Kreuze langsam in die Erde sanken und die Brennesseln alles überwucherten. Ich sah die Schlingpflanzen an den Kreuzen, die zerbrochenen Laternen und die Reste der Wachsstümpfchen. Und nachts lagen die Friedhöfe ganz verlassen. Kein Licht brannte, und nichts regte sich als das Rascheln des Windes im trockenen Gras. Ich erinnerte mich der Menschenprozessionen mit den Einkaufstaschen voll riesiger Chrysanthemen und des geschäftigen, verstohlenen Wühlens und Gießens auf den Gräbern. Ich habe Allerseelen nie gemocht. Das Geflüster der alten Frauen über Krankheit und Auflösung, und dahinter die böse Angst vor den Toten und viel zu wenig Liebe. So sehr man versucht hatte, dem Fest einen schönen Sinn zu geben, die uralte Angst der Lebenden vor den Toten war unausrottbar. Man mußte die Gräber der Toten schmücken, um sie vergessen zu dürfen. Es tat mir schon als Kind immer weh, daß man die Toten so schlecht behandelte. Jeder Mensch konnte sich doch ausrechnen, daß man bald auch ihm den toten Mund mit Papierblumen, Kerzen und ängstlichen Gebeten stopfen würde.
Jetzt endlich konnten die Toten in Frieden ruhen, unbelästigt von den wühlenden Händen derer, die an ihnen schuldig geworden waren, von Nesseln und Gras überwuchert, von Feuchtigkeit getränkt, unter dem ewigen raschelnden Wind. Und wenn es jemals wieder Leben geben sollte, so würde es aus ihren aufgelösten Leibern wachsen und nicht aus den steinernen Dingern, die für alle Zeiten zur Leblosigkeit verdammt waren. Ich hatte Mitleid mit ihnen, mit den Toten und mit den Steinernen. Mitleid war die einzige Form der Liebe, die mir für Menschen geblieben war.
Die heißen Windstöße vom Gebirge her wühlten mich auf und hüllten mich in eine traurige Dunkelheit, gegen die ich mich vergebens zur Wehr setzte. Auch die Tiere litten unter dem Föhn. Luchs lag ermattet unter einem Busch, und Tiger schrie und klagte den ganzen Tag und verfolgte seine Mutter mit dranghafter Zärtlichkeit. Aber sie wollte nichts von ihm wissen, und da lief Tiger auf die Wiese und rannte mit dem Kopf immer wieder laut schreiend gegen einen Baum. Als ich ihn entsetzt streichelte, bohrte er seine heiße Nase kläglich schreiend in meine Hand. Tiger war plötzlich nicht mehr mein kleiner Spielgefährte, sondern ein fast erwachsener Kater, den die Liebe quälte. Da die alte Katze nichts von ihm wissen wollte, sie war in der letzten Zeit recht mürrisch geworden, würde Tiger in den Wald laufen und verzweifelt ein Weibchen suchen, und es gab doch für ihn kein Weibchen. Ich verwünschte den warmen Wind und ging voll finsterer Gedanken zu Bett. Die Katzen liefen beide in die Nacht hinaus, und bald hörte ich aus dem Wald Tigers Gesang. Er besaß eine prächtige Stimme, ein Erbstück von Herrn Ka-au Ka-au, aber jugendlicher und geschmeidiger. Armer Tiger, er würde vergeblich singen.
Die ganze Nacht lag ich in jenem halbwachen Zustand, in dem ich mir einbildete, mein Bett wäre ein Kahn auf hoher See. Es war fast wie ein Fieberanfall und machte mich matt und schwindlig. Immerfort glaubte ich, in einen Abgrund zu stürzen, und sah schreckliche Bilder. All dies geschah auf einer tanzenden Wasserfläche, und bald hatte ich
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