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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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dahinschleichen können. Manchmal erkannte ich meinen Zustand und den Zustand unserer Welt ganz klar, aber ich war nicht fähig, aus diesem unguten Leben auszubrechen. Die Langeweile, unter der ich oft litt, war die Langeweile eines biederen Rosenzüchters auf einem Kongreß der Autofabrikanten. Fast mein ganzes Leben lang befand ich mich auf einem derartigen Kongreß, und es wundert mich, daß ich nicht eines Tages vor Überdruß tot umgefallen bin. Wahrscheinlich konnte ich überhauptnur leben, weil ich mich immer in meine Familie flüchten konnte. In den letzten Jahren schien es mir allerdings oft, als wären auch meine engsten Angehörigen zum Feind übergelaufen, und das Leben wurde wirklich grau und trübe.
    Hier, im Wald, bin ich eigentlich auf dem mir angemessenen Platz. Ich trage den Autofabrikanten nichts nach, sie sind ja längst nicht mehr interessant. Aber wie sie mich alle gequält haben mit Dingen, die mir zuwider waren. Ich hatte nur dieses eine kleine Leben, und sie ließen es mich nicht in Frieden leben. Gasrohre, Kraftwerke und Ölleitungen; jetzt, da die Menschen nicht mehr sind, zeigen sie erst ihr wahres jämmerliches Gesicht. Und damals hatte man sie zu Götzen gemacht anstatt zu Gebrauchsgegenständen. Auch ich habe mitten im Wald so ein Ding stehen, Hugos schwarzen Mercedes. Er war fast neu, als wir damit herkamen. Heute ist er ein grünüberwuchertes Nest für Mäuse und Vögel. Besonders im Juni, wenn die Waldrebe blüht, sieht er sehr hübsch aus, wie ein riesiger Hochzeitsstrauß. Auch im Winter ist er schön, wenn er im Rauhreif glitzert oder eine weiße Haube trägt. Im Frühling und Herbst sehe ich zwischen den braunen Stengeln das verblaßte Gelb der Polsterung, Buchenblätter, Schaumgummistückchen und Roßhaar, von winzigen Zähnen herausgerissen und zerzupft.
    Ein herrliches Heim ist Hugos Mercedes geworden, warm und windgeschützt. Man müßte mehr Autos in den Wäldern aufstellen, sie gäben gute Nistplätze ab. Auf den Straßen über Land stehen sie wohl zu Tausenden, überwuchert von Efeu, Brennesseln und Gebüsch. Aber sie sind ganz leer und unbewohnt.
    Ich sehe das Wuchern der Pflanzen, grün, satt und lautlos. Und ich höre den Wind und die vielen Geräusche in den toten Städten, Fensterscheiben, die auf dem Pflasterzersplittern, wenn die Angeln durchgerostet sind, das Tropfen des Wassers aus den geborstenen Leitungen und das Schlagen Tausender Türen im Wind. Manchmal, in stürmischen Nächten, kippt ein steinernes Ding, das einmal ein Mensch war, vom Sessel vor dem Schreibtisch und schlägt dröhnend auf dem Parkett auf. Eine Zeitlang muß es auch große Brände gegeben haben. Aber jetzt ist das wohl vorüber, und die Pflanzen haben es eilig, unsere Reste zu bedecken. Wenn ich den Boden hinter der Wand betrachte, sehe ich keine Ameise, keinen Käfer, nicht das kleinste Insekt. Aber es wird nicht so bleiben. Mit dem Wasser aus den Bächen wird das Leben, winziges einfaches Leben, einsickern und die Erde wiederbeleben. Das könnte mir ganz gleichgültig sein, aber seltsamerweise erfüllt es mich mit heimlicher Befriedigung.
    Am sechzehnten Oktober, seit ich von der Alm zurück war, machte ich wieder regelmäßig Notizen; am sechzehnten Oktober nahm ich die Erdäpfel aus der Erde und sammelte die schwarzbestäubten Knollen in Säcke. Die Ernte war gut ausgefallen, und die Mäuse hatten wenig Schaden angerichtet. Ich konnte zufrieden sein und dem Winter getrost entgegensehen. Ich wischte meine schwarzen Hände an einem Sack ab und setzte mich auf einen Baumstrunk. Die Zeit des ständigen Magenknurrens war vorbei, und das Wasser lief mir im Mund zusammen, wenn ich an die abendliche Mahlzeit dachte: frische Erdäpfel mit Butter. Die letzten Sonnenstrahlen fielen durch die Buchen, und ich ruhte müde und zufrieden aus. Der Rücken schmerzte vom Bücken, aber er schmerzte angenehm, gerade so viel, daß ich merkte, daß ich überhaupt einen Rücken hatte. Das Heimschleppen der Säcke auf den Ästen stand mir noch bevor. Ich band immer zwei auf die Buchenzweige, die mir im Sommer einen Wagen und im Winter einen Schlittenersetzten, und zog sie auf dem ausgetretenen Pfad zum Jagdhaus. Als ich am Abend alle Erdäpfel in der Kammer untergebracht hatte, war ich so müde, daß ich ohne Abendessen zu Bett ging und das große Festessen verschieben mußte.
    Am einundzwanzigsten Oktober, noch immer bei heiterem Wetter, holte ich die Äpfel und die Holzäpfel nach Hause. Die Äpfel schmeckten

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