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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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der Fischerei. Die Forellen wollten nicht mehr beißen. Ich konnte mich nicht an die Schonzeiten halten, aber es ergab sich auf diese Weise von selbst, daß ich keinen Fisch mehr fing. Durch den Föhneinbruch hatte die Hirschbrunft früher eingesetzt, und auch deshalb war mein Schlaf gestört. Es schien mir jetzt mehr Hirsche zu geben als im Vorjahr. Ich hatte recht behalten mit meinen Befürchtungen; aus den fremden Revieren, in denen sie sich unbehindert vermehren konnten, wechselten sie zu mir herüber. Eines Tages, wenn nicht ein unmäßig strenger Winter kam, würde der Wald von Wild überquellen. Ich kann heute noch nicht sagen, wie sich die Dinge weiterentwickeln werden; sollte ich mich aber unter der Wand durchgraben, werde ich diese letzte Arbeit sehr gründlich erledigen und ein richtiges Tor aus Erde und Steinen bauen. Ich darf meinem Wild diese letzte Möglichkeit nicht vorenthalten.
    Endlich drehte sich der Wind wieder und kam jetzt von Osten. Noch einmal wurde es wirklich schön. Mittags erwärmte sich die Luft so stark, daß ich auf der Bank in der Sonne sitzen konnte. Die großen Waldameisen wurden wieder sehr unternehmungslustig und zogen in grauschwarzen Prozessionen an mir vorüber. Sie schienen äußerst zielbewußt und waren nicht abzulenken von ihrer Arbeit. Sie schleppten Fichtennadeln,kleine Käfer und Erdstückchen und plagten sich sehr. Sie taten mir immer ein wenig leid. Ich war nie fähig, einen Ameisenhaufen zu zerstören. Meine Haltung gegen die kleinen Roboter schwankte zwischen Bewunderung, Grausen und Mitleid. Natürlich nur, weil ich sie mit Menschenaugen betrachtete. Einer riesigen Überameise wäre wahrscheinlich mein Treiben höchst rätselhaft und unheimlich erschienen.
    Bella und Stier verbrachten den ganzen Tag auf der Lichtung und rupften, nun schon ein wenig lustlos, an den harten, gelblichen Gräsern. Sie zogen entschieden das frische, duftende Heu vor, mit dem ich sie am Abend fütterte. Tiger spielte in meiner Nähe, hielt sich aber von den Ameisen fern, und Luchs unternahm kleine Ausflüge ins Gebüsch, von denen er alle zehn Minuten zurückkam, mich fragend ansah und, nach einem lobenden Wort von mir, beruhigt wieder verschwand.
    Fast den ganzen Oktober hindurch blieb das Wetter schön. Ich nützte nun doch die günstige Zeit und verdoppelte meinen Holzvorrat. Das ganze Haus war jetzt bis zur Veranda mit aufgestapeltem Holz bedeckt und sah aus wie eine Festung, aus der die kleinen Fenster wie Schießscharten blickten. Die Holzstöße schwitzten gelbes Harz aus und erfüllten die ganze Lichtung mit seinem Geruch. Ich arbeitete ruhig und gleichmäßig dahin, ohne mich übermäßig anzustrengen. Im ersten Jahr war mir das noch nicht gelungen. Ich hatte einfach den richtigen Rhythmus noch nicht gefunden. Aber dann hatte ich ganz langsam dazugelernt und mich dem Wald angepaßt. Man kann jahrelang in nervöser Hast in der Stadt leben, es ruiniert zwar die Nerven, aber man kann es lange Zeit durchhalten. Doch kein Mensch kann länger als ein paar Monate in nervöser Hast bergsteigen, Erdäpfel einlegen, holzhacken oder mähen. Das ersteJahr, in dem ich mich noch nicht angepaßt hatte, war weit über meine Kräfte gegangen, und ich werde mich von diesen Arbeitsexzessen nie ganz erholen. Unsinnigerweise hatte ich mir auf jeden derartigen Rekord auch noch etwas eingebildet. Heute gehe ich sogar vom Haus zum Stall in einem geruhsamen Wäldlertrab. Der Körper bleibt entspannt, und die Augen haben Zeit zu schauen. Einer, der rennt, kann nicht schauen. In meinem früheren Leben führte mich mein Weg jahrelang an einem Platz vorbei, auf dem eine alte Frau die Tauben fütterte. Ich mochte Tiere immer gern, und jenen, heute längst versteinerten Tauben gehörte mein ganzes Wohlwollen, und doch kann ich nicht eine von ihnen beschreiben. Ich weiß nicht einmal, welche Farbe ihre Augen und ihre Schnäbel hatten. Ich weiß es einfach nicht, und ich glaube, das sagt genug darüber aus, wie ich mich durch die Stadt zu bewegen pflegte. Seit ich langsamer geworden bin, ist der Wald um mich erst lebendig geworden. Ich möchte nicht sagen, daß dies die einzige Art zu leben ist, für mich ist sie aber gewiß die angemessene. Und was mußte alles geschehen, ehe ich zu ihr finden konnte. Früher war ich immer irgendwohin unterwegs, immer in großer Eile und erfüllt von einer rasenden Ungeduld, denn überall, wo ich anlangte, mußte ich erst einmal lange warten. Ich hätte ebensogut den ganzen Weg

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