Die Wanderapothekerin 1-6
selbstverständlich ihre Strecke übernehmen würde.
2.
N icht nur Rumold Just, auch Johanna Schneidt war entsetzt, weil ihre Tochter hartnäckig daran festhielt, den Spuren des Vaters und Bruders zu folgen. Sie rang verzweifelt die Hände und wandte sich, als Klara weiterhin darauf bestand, an ihren Schwager.
»Alois, sag du ihr doch, dass es nicht geht!«
»Würde ich ja gerne«, erwiderte Alois Schneidt grimmig. »Dieses unglückselige Ding hat jedoch den Fürsten dazu gebracht, allen zu befehlen, es ziehen zu lassen. Ich würde mir seinen Zorn zuziehen, sollte ich versuchen, Klara daran zu hindern.«
Im letzten Herbst hatte Schneidt sich bereits am Ziel seiner Wünsche gesehen, doch dann hatte Klara ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Da er im Vorgefühl baldigen Reichtums sein Geld mit vollen Händen ausgegeben hatte, war er gezwungen gewesen, den Winter über ungewohnt sparsam zu leben. Trotzdem hatte er Just nicht den üblichen Vorschuss auf die Arzneien zahlen können, und nun lasteten noch größere Schulden auf seinen Schultern als je zuvor.
In trüben Augenblicken verfluchte Alois Schneidt den Köhler Görch, in dessen Macht es gelegen hätte, ihn von seiner Nichte zu befreien. Doch statt Klara den Garaus zu machen, hatte Görch sich von ihr übertölpeln lassen. Nicht zuletzt deshalb war Schneidt zur Hinrichtung des Köhlers nach Rudolstadt gewandert und hatte dem Mann alle Qualen, die dieser erlitten hatte, von Herzen gegönnt. Nun aber sah die Sache für ihn wieder besser aus. Klara wollte mit dem Reff auf Wanderschaft gehen, und das gab ihm die Gelegenheit, sich auch ihrer zu entledigen.
»Es hat keinen Sinn zu klagen, Schwägerin. Fürst Ludwig Friedrich hat beschlossen, dass Klara die Strecke ihres Vaters bereisen darf. Selbst der Laborant Just verfügt nicht über die Macht, sie davon abzuhalten, wiewohl er mit dieser Tatsache hadert«, setzte Schneidt nach einer vermeintlichen Bedenkpause hinzu.
»Wenn du wenigstens auf sie achtgeben könntest!«, rief die Witwe seines Bruders unter Tränen. »Ich habe Angst, dass sie mir ebenso verlorengeht wie mein Martin und mein lieber Gerold.«
Die Angst ist nicht unbegründet, dachte Alois Schneidt mit grimmiger Zufriedenheit. Nach außen hin mimte er jedoch den besorgten Verwandten. »Ich wollte, ich könnte es, Schwägerin. Doch Klara und ich reisen nur die ersten Tage zusammen und treffen uns erst wieder am Ende unserer Strecken. Zwar wird Just unterwegs zwei Depots einrichten, an denen wir neue Arzneien erhalten, doch es ist ungewiss, ob wir uns dort begegnen.«
»Aber Klara kann doch nicht allein durch die Welt ziehen! Was kann ihr da alles zustoßen!« Johanna Schneidt klammerte sich an ihre Tochter, als wolle sie diese nie mehr loslassen.
Klara fühlte sich schlecht. Zwar wollte sie das Privileg des Wanderapothekers in der Familie halten, doch es tat ihr in der Seele weh, die Ängste ihrer Mutter zu sehen. Unsicher strich sie dieser über die nassen Wangen. »Es wird alles gut werden, Mama. Ich komme im Herbst zurück, und dann haben wir so viel Geld, dass uns der Winter nicht mehr schrecken kann.«
»Es wäre auch leichter gegangen, Schwägerin, wenn du vernünftig gewesen wärst!«, antwortete Alois Schneidt, um die Witwe an den versteckten Schatz ihres Mannes zu erinnern.
Klaras Mutter nickte unter Tränen. »Ich hätte nicht auf Klara und damals auch nicht auf Gerold hören sollen, dann wäre mein Junge noch da.«
»Gerold wäre trotzdem als Wanderapotheker auf die Reise gegangen«, wandte Klara ein.
Ihr Onkel hob belehrend den Zeigefinger. »Das hätte er dann nicht mehr tun müssen.«
»Wenn du zurückkommst, erledigen wir das, gleichgültig, was Klara sagt«, versprach die Witwe.
Ihr Schwager nickte erfreut. »Das ist ein Wort, Johanna!«
Dann aber warf er Klara einen kurzen Blick zu und las Abwehr auf ihrem Gesicht. Wenn das Mädchen von seiner Strecke zurückkam und tatsächlich genug Geld mitbrachte, würde die Mutter wieder auf ihre Tochter hören und nicht auf ihn.
»Sie wird verschwinden«, murmelte Alois Schneidt, nahm sein Reff auf den Rücken und den Stock in die Hand. Laut sagte er: »Wir müssen aufbrechen, wenn wir rechtzeitig in Königsee sein wollen. Kommen wir zu spät zum Eid, lässt uns der Amtmann nicht mehr losziehen.«
Klara atmete tief durch, umarmte dann die Mutter und anschließend ihre Geschwister. »Gebt gut auf Mama acht!«, flüsterte sie den beiden zu. »Und seid brav!«
Das Letzte
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