Die Wanderapothekerin 1-6
gewünscht. Gestern Morgen waren plötzlich ein Dutzend Schafe des Grafen tot, ebenso mehrere Schafe anderer Bauern. Jetzt jagen sie die Hexe, doch selbst wenn sie sie fangen und töten, wird ihr Fluch weiter bestehen, ja, sogar noch stärker werden, weil der Teufel jenen hilft, die für ihn sterben. Dagegen will ich mich wappnen!«
Klara begriff, dass sie mit einer Lüge jedes ihrer Mittel zu einem Preis loswerden konnte, der weit über dem üblichen lag. Aber dies wäre ein noch schlimmerer Betrug gewesen als der, den der Theriak-Verkäufer an seinen Kunden in Kronach begangen hatte. Daher schüttelte sie den Kopf.
»Ich habe nur Mittel gegen normale Viehkrankheiten, aber nichts, was gegen Flüche wirkt!« Insgeheim dachte sie, dass es sich bei dem angeblichen Fluch wahrscheinlich um eine Viehseuche handelte, die hier ausgebrochen war, und dagegen halfen auch ihre Arzneien nichts.
»Dann kann ich dir nichts abkaufen«, meinte die Bäuerin und verschwand wieder in ihrem Haus.
Achselzuckend ging Klara weiter und versuchte es bei anderen Höfen. Sie brachte aber in diesem Dorf nur ein wenig von dem Pulver an, das gegen den Husten von Pferden half und dafür sorgte, dass diese genügend fraßen. Der Verdienst war entsprechend gering. Trotzdem atmete sie erleichtert auf, als sie diese Höfe hinter sich lassen konnte. Ihr Blick richtete sich nach vorne, und sie musterte die Hügelkette, die den Besitz des Grafen fast in der Mitte teilte. Wenn die Leute drüben im Hauptort ähnlich abergläubisch waren wie diese hier, war es wohl das Beste, wenn sie Güssberg umging. Sonst hielt man sie womöglich auch noch für eine Hexe.
Bei dem Gedanken schüttelte Klara den Kopf und wünschte der Tochter des Hingerichteten, dass sie dem Grafen und seinen Häschern entging.
Sie atmete einmal tief durch und beschloss, ihren Pflichten nachzukommen und dennoch das Hauptdorf aufzusuchen. Es war größer als die Ortschaften, durch die sie bis jetzt gezogen war, und etwas außerhalb am Waldrand stand das reichgeschmückte Schloss des Grafen, auf dessen Turm eine riesige Fahne mit seinem Wappen wehte. Es wirkte auf Klara so, als wolle der Herr dieses Ländchens sich deutlich von seinen Bauern und einfachen Bürgern abheben. In dem Prunkbau dort hätte Klara sich eine gescheite Mamsell gewünscht, die wusste, was sie von den Heilmitteln aus Königsee zu halten hatte. Doch ihrem Vater zufolge war die Dienerschaft darin viel zu eingebildet.
Die Dorfbewohner wirkten fürchterlich aufgeregt und starrten immer wieder zum Schloss hinüber. Hier würde sie wohl kein Geschäft machen. Um auf sich aufmerksam zu machen, fragte sie laut, was denn hier los sei.
Eine der Mägde drehte sich verwundert zu ihr um. »Hast du es noch nicht gehört? Seine Erlaucht jagt die Schadhexe, die uns den Geisterbären auf den Hals gehetzt hat. Hoffentlich fangen sie die Teuflische und bringen sie dazu, ihren Fluch zurückzunehmen. Es wäre nicht auszudenken, wenn der Bär unser ganzes Vieh schlagen würde.«
»Ein Bär?«, rief Klara überrascht. »In dem Dorf, in dem ich vorhin war, hieß es, eine Seuche habe die Schafe des Grafen dahingerafft.«
Die Magd winkte verächtlich ab. »Ach, die da drüben! Die haben doch nicht alle fünf Sinne zusammen. Natürlich war es ein Bär! Ich habe die gerissenen Schafe mit eigenen Augen gesehen. Ein ganzes Dutzend hat er umgebracht, und von allen nur die Leber und andere Innereien gefressen. Schon morgen kann er wiederkommen, und er ist stark genug, um selbst die Stalltüren aufzubrechen. Die Berta sagt, auch Stahl und Eisen könnten ihm nichts anhaben, weil es ein Geisterbär wäre. Dieses Ungeheuer hat die Martha herbeigerufen, nachdem der Herr Graf ihren Vater hat aufhängen lassen. War auch ein wenig hart, die Strafe! Es war ein einziger Hase, und den hat der Damian nur deshalb mit der Schlinge gefangen, weil der Herr Graf ihm den Lohn für die Holzarbeit nicht hat zahlen wollen.«
Der Bericht der Magd erschütterte Klara. Wie es aussah, war der eigentliche Schuldige der Graf von Güssberg, der in seinem Territorium nach Gutdünken herrschte und sich dabei nicht um Gesetz und Ordnung scherte, deren Beachtung er von seinen Untertanen rücksichtslos einforderte. Sie nahm sich vor, rasch weiterzuwandern, musste aber erst einmal die Neugier der Magd und der anderen Frauen befriedigen, die sich inzwischen zu ihr gesellt hatten.
»Wer bist du, und wo kommst du her?«, wurde sie gefragt.
»Ich bin die Schneidt-Klara aus
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