Die Wanderapothekerin 1-6
Martha seufzte und starrte dann Klara verblüfft an, weil diese sofort in ihr Reff griff und ihr ein Stück Brot reichte.
»Ich habe auch noch einen Rest Wurst«, erklärte diese.
»Danke! Wegen dieses verfluchten Grafen habe ich zwei Tage nichts essen können. Dieses aufgeblasene Schwein hat mich wie ein Kaninchen durch die Wälder gehetzt. Gerade als ich gehofft hatte, auf dem Land seines Nachbarn in Sicherheit zu sein, hat er mich eingeholt und gefangen nehmen lassen, ohne sich darum zu scheren, dass er dort nicht der Herr ist.« Martha klang aufgebracht, aber auch besorgt. Da Graf Benno die Hoheitsrechte seines Nachbarn missachtet hatte, würde er es gewiss wieder tun. Daher drängte sie nun darauf, weiterzugehen.
Klara hätte lieber ein kleines Feuer angezündet, um sich zu wärmen, doch ihr schien es ebenfalls überlebenswichtig, sich so weit wie möglich von der Grafschaft Güssberg zu entfernen. Daher nahm sie ihr Reff auf den Rücken und stillte ihren Hunger erst im Gehen. Als sie das erste Dorf in der nächsten Herrschaft erreichten, wagte sie immer noch nicht aufzuatmen. Die Vorsicht riet ihr, weiterzugehen, aber als Wanderapothekerin musste sie ihre Arzneien verkaufen. Wenn sie das nicht tat, würden die Bewohner sich Scharlatanen zuwenden und ihr im nächsten Jahr die kalte Schulter zeigen.
»Wie gut kennst du diese Gegend?«, fragte sie Martha.
»Ganz gut«, antwortete diese verwundert.
»In welcher Richtung liegt Seuberndorf?«
»Dort!« Martha wies mit der Rechten nach Südwesten.
»Und welches Dorf liegt im Norden?«, fragte Klara weiter.
»Markt Schellendorf.«
»Ein größerer Ort also. Das ist gut. Wenn ich im nächsten Dorf meine Arzneien verkaufe, werde ich sagen, dass ich nach Markt Schellendorf weitergehen werde. Du verbirgst dich unterdessen in einem Gebüsch und kommst mir dann nach.«
»Nach Markt Schellendorf?«, fragte Martha verwundert.
»Nein, nach Seuberndorf. Das andere sage ich doch nur, um den Grafen auf eine falsche Spur zu locken. Es kann ja sein, dass uns schon jemand zusammen gesehen hat und ihm dies zuträgt.«
»Wenn das so ist, brauche ich mich auch nicht in einem Gebüsch zu verstecken«, wandte Martha ein. »Die Leute hier mögen Graf Benno nicht und werden uns helfen. Außerdem wird er eher einer falschen Spur folgen, wenn er weiß, dass ich bei dir bin!«
Diesem Argument konnte Klara sich nicht verschließen. »Also gut, gehen wir zusammen ins Dorf«, sagte sie.
Martha lächelte trotz ihrer Schmerzen. »Vielleicht gibt er auf, wenn er uns in Markt Schellendorf nicht findet!«
»Wollen wir es hoffen! Für den Fall, dass er es nicht tut, werden wir im nächsten Ort das Gleiche sagen.«
Martha sah Klara verständnislos an. »Dass wir nach Markt Schellendorf gehen?«
»Nein! Wir suchen ein anderes Dorf aus, das erneut abseits unseres Weges liegt! Hast du eigentlich Verwandte?«, fragte sie Martha in der Hoffnung, sie irgendwo zurücklassen zu können, wo sie in Sicherheit war.
»Ja, habe ich!«, antwortete die junge Frau eifrig. »Die Küchenmagd auf dem Schloss des Grafen ist meine Tante und einer der Knechte beim Bauern Tremes mein Vetter.«
»Und wo lebt dieser Bauer Tremes?«, fragte Klara weiter.
»Im Hauptort von Güssberg!«
»Solche Verwandte meine ich nicht, sondern welche, die nicht unter der Fuchtel dieses unmöglichen Grafen stehen«, erwiderte Klara ziemlich scharf.
Martha schüttelte den Kopf. »Nein, solche habe ich nicht.«
Die Hoffnung, die Klara kurzfristig gehegt hatte, zerstob, und sie sah sich bereits bis ans Ende ihrer Wanderung mit Martha geschlagen. Da sie die Verantwortung für das Mädchen übernommen hatte, musste sie diese wohl tragen. Im Notfall nahm sie die junge Frau eben mit nach Hause. Entweder konnte diese in Katzhütte oder einem der Nachbarorte als Magd arbeiten, oder sie blieb bei ihnen und half der Mutter, Kräuter zu ziehen und zu sammeln.
Diese Überlegung enthob sie jedoch nicht der Verpflichtung, erst einmal für ein Kleid zu sorgen, das Martha anziehen konnte. An einem so warmen Tag wie diesem war der Mantel zu dick, und allein im Hemd konnte die junge Frau nicht herumlaufen.
»Wir sind gleich im Dorf!«, rief Martha und wies auf die ersten Häuser.
Klara nickte und hielt auf mehrere Bewohner zu, die auf der Straße zusammenstanden und sich eifrig unterhielten. »Guten Tag!«, grüßte sie. »Ich bin Klara Schneidt aus Königsee und bringe die guten Arzneien aus unserer Gegend. Wer ein Mittel gegen
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