Die Wanderbibel
begegnet, auf die schlecht trainierte oder zu schnell angelaufene Marathonläufer bei Kilometer 35 treffen, nämlich dem »Mann mit dem Hammer«. Eine im Ausdauersport gebräuchliche Bezeichnung für einen schlagartig auftretenden Leistungseinbruch infolge akuten Kohlenhydratmangels. Durch die lang andauernde Anstrengung sind die gespeicherten Kohlenhydrate endgültig aufgebraucht, und ohne Nahrungsmittelzufuhr kann die Leber den Blutzuckerspiegel nur eine bestimmte Zeit konstant halten. Es kommt zu einem Phänomen, das im Radrennsport gerne auch als »Hungerast« bezeichnet wird. Der Körper kann sich die benötigte Energie dann nur noch über die Verbrennung von gespeicherten Fettzellen holen – eine Verbrennung, die viel Sauerstoff und Energie aufsaugt. Die Folgen sind ein fieses Schweregefühl in den Beinen, Gelenkschmerzen, ein geradezu fieberhaftes Ansteigen der Körpertemperatur und das, was man gemeinhin als einen schlechten Allgemeinzustand bezeichnet. Mit einem Satz: Man ist völlig platt!
Dabei war mir der »Mann mit dem Hammer« aus längst vergangenen Läufertagen durchaus kein Unbekannter. Ich hatte also einen Anfängerfehler begangen, hatte nicht auf meine Frau (»Iss doch mal was!«) gehört, eine Tatsache, die ich dann später erst recht (»Hab ich’s dir nicht gesagt!«) zu hören bekam.
Erstaunlicherweise halfen mir letztendlich zwei mit meinem letzten Viertelliter Wasser heruntergewürgte »Powerriegel« wieder auf die Beine. Und auf einem Felsen sitzenzubleiben erschien mir im Übrigen auch nicht als echte Alternative.
Um 13.30 Uhr, nach über sechs Stunden Marschzeit und immerhin rund 1.600 bewältigten Höhenmetern, erreichten wir, zwar bis auf die Knochen nass, durchgefroren und völlig erschöpft, aber erfüllt von einem unglaublichen und tiefen Stolz auf unsere Leistung das güldene Gipfelkreuz der Zugspitze. Kaum einen Blick übrig hatten wir für den Gipfel, der so hoffnungslos verbaut ist, dass er mit Sicherheit zu den Top 3 der scheußlichs ten Gipfel der Welt gehört, und auf dessen Aussichtsplatt form an schönen Tagen dank zweier Seilbahnen und einer Zahnradbahn Tausende von meist sandalenbewehrten Touristen die herrliche Aussicht genießen. Es zog uns sofort magisch in das Münchner Haus, wo wir uns mit viel heißer Suppe wieder einigermaßen aufwärmten. Allerdings erklärte hier auch Sepp, der ganz offensichtlich froh und glücklich war, seine Schützlinge bei diesen scheußlichen Bedingungen heil und komplett nach oben gebracht zu haben, unser Klettersteigwochenende mit einem Doppelbrummen für beendet, denn eins war klar: Bei diesem Sauwetter, das nach Aussage des Hüttenwirts noch schlechter werden würde, war es unmöglich, unsere Tour fortzusetzen. Auch wenn kein aufregender Klettersteig mehr auf uns wartete, sondern lediglich der Abstieg durch das Reintal und die Partnachklamm nach Garmisch-Partenkirchen auf dem Programm stand. Und ehrlich gesagt: Uns war das allen ziemlich recht! Und so endete unser Klettersteigwochenende recht prosaisch mit einer Fahrt mit der Eibseeseilbahn, die uns innerhalb von zehn Minuten ins rund 2000 Meter tiefere Tal brachte.
Auf der Rückfahrt nach Karlsruhe hatten wir noch das durchaus bizarre Privileg, Zeugen einer türkischen Hochzeitsfeier zu werden, die in einem nahe der Autobahn gelegenen McDonald’s-Restaurant zwischen Doppel-Cheeseburgern und McRibs vor den Augen der »normalen« Laufkundschaft ausgerichtet wurde – aber das ist eine andere Geschichte.
7 Österliche Stille im Industriegebiet
Stadtwandern statt Wandern
Wo, um Himmels willen, kann man an Christi Himmel fahrt oder einem Ostermontag wandern gehen? An Christi Himmelfahrt, am Vatertag, sind alle Männer zwischen zwanzig und fünfzig unterwegs mit dem Bollerwagen, vor allem auf Wanderwegen, die von Dorf zu Dorf, von Kneipe zu Kneipe führen, und trotzdem sind die Bollerwägen voller Kühltaschen, Bierfässchen und Bierkästen. Anfangs jedenfalls, später hängt darin ein junger Vater oder ein ergrauter Gatte in der Midlife-Crisis, der vorübergehend seinen Frust darüber vergessen hat, dass es inzwischen sein Sohn ist, der die jungen, hoch attraktiven Blondinen abschleppt. Das Fässchen indessen ruht leicht verbeult neben dem überfüllten Abfalleimer eines beliebten Rastplatzes.
An Christi Himmelfahrt eine Standardwanderung zu machen ist unmöglich. Es sei denn, man erfreut sich genau an dem Liedgut, das man während seiner Abiturfeier gesungen und das man am Tag
Weitere Kostenlose Bücher