Die Wanderbibel
Südwestseite der Jungfrau besichtigten will, schwebt am besten mit der Schilthorn-Seilbahn bis nach Gimmelwald und setzt sich mit einem Fernglas in ein Café, um die Himalaja-Dimensionen nachzuvollziehen. Nirgends kann man die gewaltigen Dimensionen der Jungfrau besser bestaunen – vom Lauterbrunner Talboden bis zum Gipfel sind es fast dreieinhalb Kilometer. Selbst die höchste Wand der Erde, die Diamir-Wand am Nanga Parbat, ist »nur« einen Kilometer höher. Der 840 Meter hohe Mattenbachfall verliert sich in diesem gigantischen Bergmassiv fast. Der höchste Wasserfall der Erde, der Salto Angel im Südosten Venezuelas, misst übrigens eine Höhe von 979 Metern – freier Fall versteht sich, außerdem fasst er dramatisch viel mehr Wasser als der Mattenbachfall. Und zu allem Unglück ist der höchste Wasserfall Europas und elfthöchste der Welt herzlich wenig berühmt, beim Googeln kommt man auf gerade mal 21 Treffer.
Ein besonderes Naturschauspiel bieten die Trümmel bachfälle, quasi am kleinen Fußzeh der Jungfrau, ebenfalls zwischen Lauterbrunnen und Stechelberg. Zehn Gletscher wasserfälle im Berginnern entwässern die Gletscher der Nordseiten von Eiger, Mönch und Jungfrau. Bis zu 20.000 Liter pro Sekunde stürzen an den Besuchern vorbei, die das Spektakel und den ohrenbetäubenden Lärm dank eines Tunnellifts und vorbildlicher Ausleuchtung hautnah erleben können – Regenschutz jedenfalls ist vor allem an kühlen Tagen ratsam. Auch hier vergegenwär tige man sich die Dimensionen: 20.000 Liter Wasser, quasi 20.000 Milchtüten pro Sekunde.
Auch in anderen Ecken des Berner Oberlandes hat die Natur einzigartige Wasserfälle geschaffen. Wie der Lauterbrunner Staubbach gelangte der Reichenbachfall in der Nähe von Meiringen zu literarischer Berühmtheit, ließ doch Sir Arthur Conan Doyle seinen Helden Sherlock Holmes nach einem erbitterten Zweikampf mit dessen Erzrivalen Professor Moriarty in den obersten Fall der bis zu 110 Meter hohen Kaskaden purzeln und auch noch überleben. An das fiktive Ereignis erinnert in Meiringen ein Denkmal. Erreichbar sind die Wasserfälle seit 1899 mit einer nostalgischen Standseilbahn.
Technikgeschichte wurde am Giessbachfall geschrieben, der in der Nähe von Iseltwald in den Brienzer See stürzt. Dort errichtete man nämlich in den Jahren 1873/74 das Grandhotel Giessbach, welches durch die erste Stand seilbahn Europas direkt mit der Schiffsstation verbunden wurde. Das unter Denkmalschutz stehende Hotel diente außerdem mehrfach als Filmkulisse, etwa in dem Streifen »Quicker than the Eye« mit Wolfram Berger aus dem Jahr 1989.
Beschaulicher und weniger feudal geht es am westlichen Ende des Berner Oberlandes zu. In der Nähe von Adelboden rauschen weithin sichtbar die beiden Kaskaden der Engstligenfälle 700 Meter in die Tiefe. Ein leicht zu begehender, aber wenig besuchter Wanderweg, führt von der Talstation der Engstligenalp-Bahn an den Fällen vorbei zu einer weitläufigen Hochalm unterhalb des Wildstrubels. Der zweithöchste Wasserfall der Schweiz gehört zu den wasserreichsten Fällen der Alpen und ist dank seiner nordseitigen Lage im Winter ein Eldorado für Eiskletterer. Wie schon die anderen Wasserfälle des Berner Oberlandes muss man sich diese nicht unbedingt im Schweiße seiner Füße erarbeiten, sondern kann sie von relativer Ferne aus mit der Engstligenalp-Seilbahn ab- und erfahren.
Dank
Die Autoren danken nicht nur ihren Gattinnen, die so manches haben ertragen müssen, seien es Gewaltmärsche, schnarchende Schweizer oder kleine Indiskretionen ihrer schreibenden Ehemänner.
Dank auch dem Deutschen Wanderinstitut, namentlich Dr. Rainer Brämer, für viele Anregungen. Den Titel haben Mario Ludwig und Matthias Kehle Thomas Lindemann zu verdanken. Merci!
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