Die Wanderbibel
Chefschreibtisch, halb verdeckt von einem überdimensionalen Flachbildschirm, über den am Ostersamstag noch die Raumpflegerin gewischt hatte.
Im Prinzip lassen sich für jede Stadt Wanderwege erstellen. Man muss nur eine Straßenkarte mit sämtlichen gewünschten Sehenswürdigkeiten sowie einen Textmarker nehmen, um sich eine Route vorzuzeichnen. Man kann aber auch an einer hundsgemeinen Stadtführung teilnehmen und diese Unternehmung als Wanderung bezeichnen, wie das etwa das dänische Arhus macht. Selbst im an echten Wanderwegen so reichen Graubünden lassen sich die Berge meiden. Ein bekannter Alpinverlag bietet ein Buch über »Architekturwandern« an und nennt diese Art des Gehens »Besichtigungswanderungen«. Kapellen, touristische Zweckbauten oder Staumauern in dem südöstlichen Schweizer Großkanton kann der nicht an Bergen interessierte Wanderer aufsuchen. Eine Stadtbesichtigung mit Hochleistungssport bietet Dani Weber in Mannheim an, eine Triathletin, die im Jahr 2003 den Ironman auf Hawaii erfolgreich absolvierte. »Sightjogging« nennt sie die Rundtour durch die Quadratestadt. In den Besichtigungspausen, in denen sie beispielsweise etwas über den Mannheimer Wasserturm erzählt, macht sie mit den Teilnehmern gleichzeitig Lockerungs- und Dehnübungen.
Spannender ist womöglich ein sinn- und zweckfreies Flanieren und ohne jede Vorbereitung. Wer das nicht möchte, kann sogar in Hamburg vorgefertigten Routen folgen, etwa entlang der Außenalster. Ein Wanderweg ganz im Sinne des Stadtmarketings firmiert unter der Überschrift »Shoppen in der Hamburger City«. Angepriesen wird das Levantehaus »zwischen Kaufhof und C & A« inklusive »exquisiter Läden und Shops unterschiedlichster Art, die vom Café bis zur Mode, von der duftenden Bäckerei bis zum Geschenkshop« reichen. Wer prall gefüllte Einkaufstüten durch die Hansestadt schleppt, tut schließlich auch etwas für die Kondition.
Auf unserem Rückweg kreuz und quer durch den Karls ruher Stadtteil Daxlanden, einem anmutigen Reihenhaus- Standardvorort aufgelockert von Fachwerküberbleibseln, überquerten wir den leeren Parkplatz eines Baumarktes, stiegen in einen einsamen Holzpavillon und machten dort Brotzeit. Neben uns lagerten große Säcke mit Blumenerde, eingeschlossen in einen Drahtkäfig. Hollywoodschaukeln und Gartenstühle ruhten angekettet in Sichtweite. Von Ferne ertönte ab und zu ein fröhliches Hupen, während wir Nudelsalat, hart gekochte Eier und Schwarzwälder Schinken aßen. Schade, sagte ich zu Anja, jetzt wäre ein Bier nicht schlecht. Ich schielte zur Hollywoodschaukel, in welcher wir später eine erholsame Siesta hielten. Ich träumte von einer Wanderung in einem stillgelegten Braunkohlerevier in der Nähe von Bitterfeld. Wir flanierten an einem Friedhof für Schaufelbagger und Schuttmulden vorbei. Vor den Grabsteinen stand ein Strauß roter Tulpen.
8 Wider Cellulitis und Bierbauch
Gesundheitliche Aspekte des Wanderns
Einer jüngst veröffentlichten Studie zufolge legt der Bundesbürger im Schnitt täglich gerade mal 800 Meter zurück, ein Wert, der deutlich unter den acht Kilometern (10.000 Schritten) pro Tag liegt, den Gesundheitsexperten empfehlen. Dabei liegt es in unserer Natur, weite Strecken zu Fuß zurückzulegen. Unser Bewegungsapparat ist nämlich, wie Untersuchungen bei Jägern und Sammlern in Afrika und Australien ergeben haben, auf Strecken von täglich fünfzehn Kilometern und mehr ausgerichtet. Im Laufe der Evolution hat sich der Mensch optimal an das Gehen angepasst. Über Jahrtausende hinweg war Gehen die wichtigste Fortbewegungsart des Menschen – und ist es in vielen Teilen der Welt noch immer.
In der sogenannten zivilisierten Welt ist das anders: Wir steigen morgens in unser Auto, fahren in unsere Firma, setzen uns dort vor unseren Computer und erheben uns eigentlich nur, um kurz in die Kantine zu gehen. Abends geht’s mit dem Auto zurück. Dann ist Erholung angesagt – sitzend vor dem Fernseher. Trotz Trendsportarten wie Bungeejumping, Rollerbladen oder Thaiboxen: Wir sind ein Volk von faulen Säcken geworden. Vor allem unsere Kinder bewegen sich viel zu wenig: Nur etwa 24 Prozent der elfjährigen Mädchen bewegen sich pro Tag eine Stunde oder mehr. Kein Wunder also, dass Fachleute heute von der »Generation Chips« sprechen. Die Folgen dieses Bewegungsmangels können weitreichend sein. Über gewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Muskelabbau, Dia betes oder Rückenleiden sind nur ein paar der möglichen
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