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Die Wanderbibel

Titel: Die Wanderbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Kehle , Mario Ludwig
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nämlich in jene Gegenden, für die es schon Winterwanderführer gibt. Einsam wollten wir es haben, und da kamen die Münchner Naherholungsgebiete nicht infrage. Dass ausgerechnet für die bayerischen Berge reichlich Winterwanderführer auf dem Markt sind, verwunderte uns übrigens nicht: Im Chiemgau sind die Berge alles andere als hoch, sodass der Skifahrer in – aus seiner Sicht – schlechten Wintern damit rechnen muss, nur auf Schneereste zu stoßen. Schließlich will der umweltbewusste Pistenschreck nicht auf der Grasnarbe fahren. Der Münchner muss in seinem schneetechnisch verkorksten Winterurlaub notfalls die Wanderschuhe schnüren und losmarschieren können, also aus der Not eine Tugend machen. Und natürlich bieten die Wanderführer für die Münchner Naherholungs gebiete reichlich Infos zum »Rodeln, Eislaufen und Glüh weintrinken«. Apropos umweltbewusst: Es gibt auch Sommerskigebiete, die auf der Liste der Todsünden ganz oben stehen. Die größtmögliche alpine Umweltsau schnallt sich die Mountainbikes auf den Roadster, fährt auf dem Schnalstaler Gletscher Sommerski und donnert anderntags den Wanderweg von der Bellavista-Hütte nach Kurzras hinunter. Die Bergstation und das Hotel Grawand auf über 3000 Metern Höhe sind architektonische Überbleibsel der frühen siebziger Jahre mit dem deprimierenden Charme einer DDR-Kantine. Wie groß die Russenquote in diesem Sommerskigebiet ist, ließ sich nicht feststellen (Sankt Anton immerhin führt seine Website auch in russischer Sprache). In dieses trostlose Ambiente verirrten wir uns einmal zu Fuß, als wir uns von der Bellavista-Hütte aus noch die Füße vertreten wollten. Auf dem traurigen Gletscherrest schoben einige Pisten-Bullys die Schneereste des vorigen Winters zusammen – deren Dauerwarnton und Dieselgestank verwandelten die Landschaft in einen Vorort der Wanderhölle.
    Einmal übrigens hatten wir in einem unserer Osterurlaube unsere klassischen Holzschlitten dabei, um die längste Rodelstrecke Europas auszutesten. Sage und schreibe fünfzehn Kilometer lang ist die Abfahrt vom knapp 2700 Meter hohen Faulhorn nach Grindelwald. Wir hatten befürchtet, dass in diesem Skigebiet ersten Ranges an einem Ostermontag massenhaft Rodler ins Tal sausen würden, doch weit gefehlt. Wir waren einsam und allein, nachdem wir die Seilbahnbergstation auf dem First verlassen und auf den Winterwanderweg Richtung Faulhorn eingebogen waren. Der Grund: Man muss den Schlitten nämlich erst vom First aufs Faulhorn schleppen, was trotz der gut präparierten Wege reichlich anstrengend ist, am Ende wird es nämlich recht steil. Auf verschneiter Unterlage reduziert sich das Gehtempo erheblich, bei den Berner Winterwanderwegen wird eine reine Gehzeit von 3,5 Kilometern pro Stunde zugrunde gelegt, bei den Sommerwanderwegen rechnen die Wanderwegspezialisten 4,2 Kilometer.
    Wer ein wenig das Werbematerial für Winterwanderungen durchblättert, stößt immer auf das gleiche Vokabular. Es ist die Rede von »klarer Höhenluft«, vom »Wandern durch weiße Welten«, von »bestechender Fernsicht über dem Wolkenmeer«, »unberührten Tiefschneelandschaften«, »märchenhaft verschneiten Wäldern« oder »pittoresken und gemütlichen Hütten«, die mit heißen Getränken locken. Am liebsten kombiniert man seine Verheißungen und Abkühlungen mit der Vokabel »Kristall«. In der Zeitschrift »Geo Saison« (12/2008) ist zu lesen: »Warum eigentlich sollte man an einer solchen Landschaft mit Brettern vorbeisausen? Wir haben auf Slowmotion geschaltet: Beim Winterwandern im Unterengadin geht es nicht um Streckenrekorde und Höhenmeter. Sondern um den Rhythmus des eigenen Herzschlags und die Kunst der Langsamkeit.«
    Und schließlich: »Bei jedem Schritt hören Sie das Knistern der Schneekristalle unter den Schneeschuhen.« Die Realität sieht wie immer ein wenig anders aus. Inzwischen werden in jeder Alpenregion markierte Winterwanderwege »angeboten«. Meist sind sie durch Holzstangen gekennzeichnet und fallen durch besondere Farbgebung auf, in Lech ist das die Farbe Blau, in der Schweiz die Farbe Pink, neuerdings auch Grün. Die Berner Winterwanderschilder ziert ein grinsender Schneemann.
    Die meisten Winterwanderwege befinden sich in Ski gebieten. Beim Präparieren der Pisten werden sie von den Räumfahrzeugen quasi mitgenommen. Es sind gewalzte Wanderautobahnen, die innerhalb eines Tages nach Schnee fall von einem Pistengerät wandertauglich gemacht wer den. Je nach Untergrund

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