Die Wanderbibel
braucht der Wanderer noch? Selbstverständlich will man nicht im Stehen essen, aber das Gras könnte feucht und kalt sein. Die Industrie bietet kleine, faltbare Alu-Sitzunterlagen an. Diese haben einen entscheidenden Nachteil: Hält man seine Brotzeit nämlich in felsigem Gelände ab, piekst der unebene Stein unter dem Gesäß garantiert durch. Bewährt haben sich gewöhnliche, zwei- oder mehrlagige Isomatten, mit dem Messer oder einer Schere in 40 × 60 Zentimeter große Stücke geschnitten, die sich an der Rückwand des Rucksackes auch noch prima transportieren lassen. Einen leidenschaftlichen Wan derer mit reichlich Erfahrung erkennt man übrigens nicht daran, dass er kürz- und reichlich im Outdoor-Shop eingekauft hat, sondern im Gegenteil: Altgediente Wandervögel sehen immer etwas selbstgebastelt und selbstgestrickt aus.
Erste-Hilfe-Set, Feldstecher, Notfallseil, Steinschlaghelm, Grödeln, Steigeisen, Pickel, Taschenlampe, Stirnlampe – die Liste sinnvoller Ergänzungen (je nach geplanter oder befürchteter Tour) ist lang, macht aber den Rucksack schwerer und den Geldbeutel leichter. Ein wasserdichtes Case für Digitalkamera oder Handy, Brustbeutel für die Wertsachen, Schrittzähler, Faltbecher, Taschenaschenbe cher, Flachmann (kein Alkohol im Hochgebirge!) – der Fan tasie sind keine Grenzen gesetzt. Die Firma Manufactum bietet gar ein mundgeblasenes Fliegen- und Wespenfangglas an. Gewicht mit Korkverschluss nur 600 Gramm. Die Firma schreibt: »Das Glas wird mit süßer (Limonade für Wespen) oder saurer (Essig für Obstfliegen) Flüssigkeit gefüllt. Diesem Lockstoff folgen die Insekten, fliegen von unten ins Innere des Glases und sind darin gefangen – bis der Erdbeerkuchen verzehrt ist und die Tiere wieder freigelassen werden können (durch Herausziehen des Korkens).« Unter der Rubrik »Wandern und Zelten« bietet die gleiche Firma auch eine »Taschensonnenuhr« an, die »an jedem Ort der Welt ohne Kompass und Libelle« eingesetzt werden kann. Ein anderes Produkt, etwas komplizierter und vor allem teurer, dafür aber minutengenau und überdies als Kompass einsetzbar, ist die »Reisesonnenuhr Icarus.« Und für den echten Snob, der sich nicht mit Allerwelts-Teleskopstöcken blicken lassen will, gibt es eine »Wanderwurzel Esche rindenecht«. Zitat: »Der Wanderstock schlechthin: Der naturwüchsige Knauf wird aus der Wurzel herausgearbeitet. Esche mit Rinde, unbehandelt. Spitzzwinge aus Stahl. Handschlaufe aus Leder.« Lieferbar übrigens in zwei Größen, in 88 und in 92 Zentimetern, je nach Körpergröße bis und über 1,70 Meter.
11 Die weißen Strände des Diedamskopfes
Winterwandern im BregenzerWald
Einem alten Witz zufolge ist der größte Feind des Tauchers der Tauchsieder. Der größte Feind des Wanderers ist der Winter. Neben dem Mountainbiker, versteht sich. Ein Winter, in dem meterhoch Schnee liegt, in dem die Pisten-Bullys und Skifahrer die verdrahtete Welt der Skipisten bevölkern und ihre Après-Ski-Partys in mondänen Orten wie Adelboden feiern, ein Winter, in dem die Wessis nach Zermatt und die Ossis nach Sölden pilgern und spätestens ab 16.30 Uhr sturzbesoffen unter überdimensionierten Glaskuppeln am Rand irgendeines Gletschers herumhängen, mit nicht mehr klarem Blick in den klaren Winternachthimmel. Der Klimawandel hat diesen Wintern noch nicht den Garaus gemacht. Selige Zeiten, als Rudi Carrell zu folgenden Songzeilen inspiriert wurde: »Der Winter war der Reinfall des Jahrhunderts. Nur über tausend Meter gab es Schnee. Mein Milchmann sagt: ›Das Klima hier wen wundert’s, denn Schuld daran ist nur die SPD.‹« Solche wanderfreundlichen Winter gab es in den neunziger Jahren, und damals musste es auch geschehen sein, dass Tourismusexperten und Skiliftpächter das »Winterwandern« erfanden, als sie erst vor grün-braun-grauen Skihängen standen und dann am Bank schalter wegen eines neuen Kredites.
Doch dann kamen die Winter der Jahre 2005/06, 2008/09 und noch schlimmer der folgende Winter sowie das Früh jahr 2010. Schnee lag monatelang, sogar in der Rheinebene und in Berlin. Eine graue Wolkensuppe bedeckte die deutschen Mittelgebirge, und in den Alpen freuten sich die Skihäschen, auch wenn Sonne Seltenheitswert hatte.
Die letzten Touren hatten wir Ende Oktober unternommen, an Ostern wollten wir partout wieder Bergluft schnuppern, vielleicht ein paar Wanderungen unternehmen, um der Winterdepression zu entfliehen. Schnell hatten wir herausgefunden, wo wir nicht hindurften,
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