Die Wanderbibel
wenigen un bewirtschafteten Schutzhütten muss man dagegen Selbst versorger sein, will heißen, man muss vom Schlafsack bis hin zum dreilagigen Klopapier alles mitschleppen, um die Übernachtung nicht in einen Bundeswehreinzelkämpferlehrgang oder ein Survivaltraining für stressgeplagte Manager ausarten zu lassen.
Grundsätzlich haben alle Wanderer und Bergsteiger Zugang zu den Hütten, allerdings werden den Mitgliedern der Alpenvereine der jeweiligen Länder besondere Konditionen wie etwa eine vergünstigte Übernachtung oder das berühmte preiswerte »Bergsteigeressen« geboten.
So übernachtet man als Mitglied des Deutschen Alpenvereins (DAV) nicht nur in den rund 330 Hütten des Vereins zu vergünstigten Konditionen, sondern in insgesamt über 1300 Hütten im gesamten Alpenraum. Dafür sorgt das sogenannte »Gegenrecht auf Hütten«, ein multilaterales Abkommen, das der DAV mit seinen europäischen Pendants abgeschlossen hat. Der Deutsche Alpenverein, der 1869 einst als »bildungsbürgerlicher Bergsteigerverein« ins Leben gerufen wurde, ist heute mit über 815.000 Mitgliedern der größte Bergsportverband der Welt.
Bei unseren Schweizer Nachbarn heißen die Hütten übrigens manchmal auch noch »Hospiz«. Eine Bezeichnung, die auf die berühmten »Hospitales« zurückgeht, die im Mittelalter von Mönchen an den Alpenpässen unterhalten wurden. Einrichtungen, die damals oft noch einen eigenen Friedhof unterhielten. Grabkreuze direkt vor einer Schutzhütte, ich glaube, das würde heutzutage zwar bei Anhängern der Gothic-Szene oder Satanisten ziemlich trendy sein, bei Wanderern aber nicht ganz so gut ankommen.
Die meisten Berghütten verfügen nicht nur über wenige Zimmer mit richtigen Betten für jeweils zwei bis acht Personen, sondern auch stets über ein sogenanntes Matratzen- oder Massenlager. Diese befinden sich meistens im Obergeschoss der Hütte und können im Einzelfall bis zu hundert Personen einen mehr oder weniger gemütlichen Schlafplatz bieten. Die Matratzen liegen übrigens nicht auf dem Boden – schließlich ist man ja auf einer ordentlichen Hütte und nicht in der Kommune eins, sondern fein säuberlich aneinandergereiht auf einem Holzrahmen. Dazu liefert der Hüttenwirt noch ein Kissen, das in Österreich »Polster« heißt, und eine meist etwas kratzige Wolldecke, die gemeinhin als »Alpenvereinsdecke« bezeichnet wird. Einen Schlafsack hat jeder gefälligst selbst mitzubringen. Meiner besteht aus Leinen, der von Katharina aus edler Thaiseide.
In einschlägigen Prospekten oder Internetauftritten von Berghütten heißt es meist etwas prosaisch: »Das Massenlager ist ideal für Menschen, die nicht immer Luxus benötigen, sondern wieder gerne in die Realität zurückkehren.«
Natürlich sind Matratzenlager die bei weitem preiswerteste, aber leider eben oft auch stressigste Art, in einer Hütte zu übernachten, und so sieht die Realität meist etwas anders aus als in Prospekten propagiert.
Denn um in einem Matratzenlager ordentlich durchschlafen zu können, muss man entweder eine Familienpackung Ohrenstöpsel sein Eigen nennen, bis zur Sinnlosigkeit betrunken sein, über Selbsthypnosekräfte verfügen oder zu jener beneidenswerten Sorte Mensch gehören, die auch schlafen können, wenn neben ihnen alle fünf Minuten nicht nur eine Kanone, sondern gleich eine ganze Geschützbatterie abgefeuert wird. Ich gehöre leider keiner dieser Gruppen an – ich leide also.
Im Matratzenlager wartet des Nachts nämlich gleich eine ganze Palette unerwünschter Geräusche auf den Möchtegernschläfer. Ein vielkehliger Choral aus Schnarchen und Husten, untermalt von Rülpsen, Stöhnen und Furzen.
Überhaupt: Wer einmal etwas genauer in Erfahrung bringen will, zu welchen Geräuschen schlafende Menschen unter Zuhilfenahme sämtlicher Körperöffnungen fähig sind, der liegt im Massenlager goldrichtig.
Am schlimmsten sind die Schnarchterroristen. Was wird in Alpenhütten geschnarcht! Oft tobt hier ein regelrechter akustischer Krieg. Da werden Geräuschpegel erreicht, bei denen sogar Kare Walkert erblassen würde. Kare Walkert ist Schwede, und sein Schnarchen bringt es laut Guinness-Buch der Rekorde auf 93 Dezibel, das entspricht dem Lärmpegel einer stark befahrenen Autobahn.
Schnarcht laut Statistik nur jeder dritte Deutsche, sind es auf Alpenhütten gefühlte 90 Prozent. Früher galt ja die Annahme, nur die Herren der Schöpfung seien lärmende Schlafzimmerterroristen. Als Gründe wurden gerne die
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