Die Wanderbibel
männlichen Hormone oder eine genetische Anlage ins Feld geführt. Manche Anthropologen glaubten gar, Schnarchen sei bereits in Urzeiten Männersache gewesen, und die Sippenführer unserer Altvor deren hätten sich nachts mit dem lauten Geräusch Feinde und wilde Tiere vom Leibe gehalten. Alles Quatsch: Bei der Übernachtung auf einer Berghütte wird man sofort eines Besseren belehrt. Gilt weibliches Schnarchen im heimischen Schlafzimmer als hoffnungslos unerotisch – im Massenlager lassen Damen jeglichen Alters offensicht lich alle Hemmungen fallen und outen sich als Schnarcherinnen der übelsten Sorte. Vielleicht nicht so laut wie die Männer, aber deutlich penetranter.
Es wäre sicherlich auch einmal interessant zu untersuchen, ob die Anzahl der Schnarcher sowie die Lautstärke derselben proportional zur Höhe über dem Meeresspiegel ansteigen. Meine Erfahrungswerte jedenfalls weisen ganz klar in diese Richtung.
Im Massenlager lernt man relativ schnell, dass es zwei Sorten von Schnarchern gibt: Die klassischen Säger, die im Schlaf unermüdlich ganze Urwälder zerlegen und – etwas weniger häufig auftretend – die sogenannten Röchler, die Geräusche von sich geben, die fatal an einen verendenden Büffel erinnern. Die Röchler sind klar die Schlimmeren. Ein einziger Röchler kann mit Leichtigkeit ein komplettes Matratzenlager um Schlaf und Verstand bringen.
Aber, wie bereits erwähnt, sorgen im Massenlager auch andere Körperöffnungen für Unruhe. So glaubt offensichtlich mancher, er müsste ausgerechnet auf einer Berghütte einen neuen Weltrekord im Dauerfurzen auf stellen. Eine Tatsache, die uns automatisch zu den Düften bringt, die des Nachts auch durch einen gut gelüfteten Schlafsaal wabern. Düfte, denen Käsefüße, nass geschwitzte Funktionshemden, abgestandene Blähungen und nur par tiell gereinigte Körper eine unverwechselbare Note verleihen. Massenlager sind wahrlich nichts für Menschen mit empfindlichen Nasen.
Andere Matratzenlagerschläfer wiederum wälzen sich nachts permanent unruhig auf ihrem Lager hin und her. Grund für die nächtlichen Bodenturnübungen ist meist die Angst, das morgendliche Wecken zu verpassen. Einige rotieren so heftig, dass sie sich im Schlaf ihrem Matratzennachbarn, wenn auch nicht unsittlich, so doch durchaus körperbetont nähern. Auf der Hochjochhospizhütte hat mir mal ein Hundert-Kilo-Hesse nicht gerade zärtlich den Ellbogen ins Gesicht gerammt. Bei einem blauen Auge fällt es schwer, auch ehrlich gemeinte Entschuldigungen mit einem Lächeln zu akzeptieren.
Und als wäre das alles noch nicht genug, gibt es da noch die Zeitgenossen, die nachts vom quälenden Harndrang gepeinigt – oft sogar mehrfach – ihre Blase leeren müssen. Will heißen: Dauernd steht einer auf und schlurft zum Klo. Auf ihrem Weg zur Toilette haben die Nachtpinkler aber nicht nur mit der Dunkelheit, sondern auch mit den auf den Gängen abgestellten Rucksäcken zu kämp fen. Auf engstem Raum sind da natürlich Stolperer, Stürze und wilde Flüche vorprogrammiert. Auf der Breslauer Hütte ist mir einmal in einer einzigen Nacht ein- und derselbe blasenschwache und offensichtlich auch nicht trittsichere Mit-Massenschläfer gleich dreimal im Sturz flug auf die Matratze gesegelt. Bei einem vierten Mal hätte ich ihn wahrscheinlich mit dem Eispickel empfangen.
Besonders schlimm wird es zwischen vier und fünf Uhr, wenn die ersten Gipfelstürmer aufstehen und mit Taschenlampen in der Größe eines Suchscheinwerfers verzweifelte Bemühungen unternehmen, ihre Habseligkeiten zusammenzusuchen. Damit wir uns richtig verstehen: Fast alle bemühen sich wirklich, leise zu sein, nur klappt es eben überhaupt nicht.
Nur wenige Bergfreunde nehmen keine Rücksicht: Es kommt einfach wenig Freude auf, wenn man lange vor dem Morgengrauen von seinem bis dato völlig unbekannten Matratzennachbarn wach gerüttelt und in breitestem Sächsisch mit der Frage konfrontiert wird, ob man nicht seine Wanderstöcke gesehen habe.
Und wenn man dann selbst gegen 5.30 Uhr aufstehen muss, hat man wahrscheinlich insgesamt gerade mal eine Stunde geschlafen oder besser gesagt gedöst und ist entsprechend gerädert.
Bei Überfüllung der Hütten werden sogenannte Notlager eingerichtet. Dann heißt es meist auf dem Fußboden übernachten.
Richtig übel in Sachen Notlager wird es manchmal auf den Hütten des Heilbronner Wegs. Dieser im Allgäu ge legene, wohl bekannteste Höhenweg Deutschlands, ist bei Bergwanderern
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