Die Wanderbibel
unbedingt Bergsteiger werden! Zu Zeiten von Toni Hiebeler gab es auch noch eine »höchste, nicht durchstiegene Wand der Alpen«. Sage und schreibe 1550 Meter maß und misst sie, die Tschingelspitz-Nordwand in den Berner Alpen. Inzwischen ist auch diese Wand nicht mehr jungfräulich, denn der etwas unterhalb des Gipfels liegende Gletscher, der die Bergsteiger fürchterlich mit Lawinen malträtierte, wurde durch den Klimawandel stark dezimiert. Toni Hiebeler war es auch, der den absoluten Geheimtipp im Berner Oberland empfahl, nur wenige Kilometer vom Trubel Grindelwalds und des Jungfraujochs entfernt. Hiebeler riet, in die »Gruft der Erde« zu wandern, ins hinterste Sefinental. Nein, man solle nicht aufsteigen zur Sefinenfurgge, einem beliebten Passübergang. Man solle unter diesem bis zu 1750 Meter hohen Halbrund von Tschingelgrat, Tschingelspitz, Gspaltenhorn und Bütlasse stehen, die Gewalt der Natur auf sich wirken lassen und dann gefälligst wohlig schauern. Im hintersten Sefinental findet sich übrigens eine weitere Sehenswürdigkeit, die Kilchbalmhöhle, die der Alpinist und Schriftsteller Willo Welzenbach in den dreißiger Jahren so beschrieb: »Wir entdeckten eine mächtig ausgeräucherte Höhle am nördlichen Talhang. Sie war zum Teil mit duftendem Heu gefüllt, das von zähen Bergbauern aus den Steilhängen zusammengetragen war. Eine Feuerstelle und ein paar primitive Bänke bildeten die Einrichtung, ein rieselnder Quell am Eingang versorgte uns mit Wasser. Was wollte das Herz noch mehr? Es war eines der herrlichsten Freilager, das ich je erlebte. Lange saßen wir ums glosende Feuer, rauchten Schweizerstumpen, lauschten auf das rauschende Bergwasser und führten weise Reden über die Probleme des Lebens. Spät krochen wir ins duftende Heu.«
Reinhold Messner bestieg seine Achttausender »by fair means«. Aus eigener Kraft, ohne künstliche Hilfsmittel, Mann gegen Berg, Mensch gegen Natur, keine Sauerstoffflasche, keine Riesenexpeditionen, keine Rie senschlamm- beziehungsweise Dreck- und Materialschlach ten gegen den Berg. Mit Steigen »by fair means« hatten jene Zeitgenossen nicht viel am Hut, denen wir vor einigen Jahren in der Nähe der beliebten und inzwischen quietschrosa ge strichenen Schaubachhütte begegneten – eigentlich müss te die Hütte bei schwulen Bergsteigern Kult sein. Sie findet sich im Gebiet des Ortlers oberhalb von Sulden, bei Wanderern wie Bergsteigern eine äußerst beliebte Gegend. Auf dem Weg von Sulden zur Hinteren Schöntaufspitze begegneten uns sogar Mountainbiker, die allerdings »nur« zum Madritschjoch wollten, laut bergstrassen.de »mit 3123 m ü. N. der höchste, mit dem Bike noch sinnvoll überquerbare Alpenpass«. Allerdings sei das Madritschjoch vom Weg selbst »nicht der große Bringer«. Davon abgesehen begegnete mir bereits im Jahr 1987 auf 2900 Meter Höhe, kurz unterhalb des Berner Schilthorns, einmal ein Motorradfahrer. Samt Maschine, versteht sich.
Überall in den Alpen gibt es viel begangene und einsame Wege und Berge, die dummerweise jedoch in keinem der gängigen Wanderführer stehen.
Nach dem Queren des Madritschjoches stand uns der Sinn nach einer einsamen Tour, sind uns doch in den Tagen zuvor außer Reinhold Messner wahre Heerscharen von Wanderern begegnet. Aber wie sollten wir herausfinden, wo man einsam und allein ist? Unsere Wirtin hatte mit Wandern wenig am Hut, andere Einheimische kannten wir nicht. Es war nicht wie in Mühlen im Ahrntal, wo unser Wirt, ein ausnahmsweise spindeldürrer Metzger, der uns nicht nur mit Wurst versorgte, sondern auch immer mit kühlem Bier, jedes Spitzchen der Gegend kannte, obwohl er ein starker Raucher war: »Was wollt Ihr denn auf der Gelltalspitze? Das Fernerköpfl ist viel schöner!«
In Sulden am Ortler stöberten wir im Supermarkt nach regionalen Wanderbüchern, was grundsätzlich überall zu empfehlen ist, wo kein einheimischer Metzger zur Hand ist. Es sind mitunter schmale, unscheinbare Bücher, erschienen in Kleinverlagen und geschrieben von einheimischen Bergfreaks und Alm-Öhis. Nicht ganz unscheinbar ist der Band, den wir neben Kaminwurzen und Rotwein zur Kasse trugen, nämlich »Die schönsten 3000er in Südtirol« von Hanspaul Menara, selbstredend ein Südtiroler. Ein Großteil der dort beschriebenen Gipfel ist richtigen, echten Hardcore-Bergsteigern vorbehalten, doch ein Teil sind reine Wanderberge.
Wer Geheimtipps sucht, kann übrigens auch das Ausschlussverfahren wählen: Einfach eine Wanderkarte
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