Die Wanderbibel
in den Zimmern soll dem in 2200 Metern Seehöhe entsprechen.
Umweltschutzorganisationen protestierten ebenso wie Privatleute, die damit drohten, nie wieder in Zermatt Urlaub zu machen. Die Website der Schweizer Gemeinde verfügt über kein Gästebuch mehr, bei Internet-Nachrichtendiensten, welche über das Projekt berichteten, hagelte es Leserkommentare. Raimund Rodewald, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, bringt auf es in einem Interview mit dem Boulevard-Blatt »Blick« auf den Punkt: »Man darf den Gipfel nicht verbauen, das wäre verheerend für das Image der Schweiz.« Julen kontert, das Projekt sei keine »Furzidee. Wir wollen mit einer spektakulär schönen Architektur die Landschaft ehren.« Für ihn komme nur ein Bauwerk infrage, das auch wahrgenommen werde. »Alles andere ist, es muss gesagt werden, verdammt verlogen.« Außerdem kontert er, ganz umweltschonend könne die Solartechnik des Turms über hundert Haushalte in Zermatt mit Strom versorgen. Dem Künstler scheint also durchaus bewusst zu sein, dass das gigantomanische Projekt ein Problembau werden könnte, der das Landschaftsbild dominiert und die Touristenblicke wie auch das Image von den eigentlichen Attraktivitäten, dem Gornergletscher, dem Monte-Rosa-Massiv, ja dem Matterhorn selbst ablenken könnte: »Wenn spätere Generationen den Turm nicht mehr wollen, können sie die Stahlkonstruktion ohne allzu großen Aufwand wieder entfernen.« Ein Leserkommentar meinte dazu knapp, dass das Ende des Turms sehr schnell kommen könne, denn mit dem Auftauen der Permafrostdecke durch die Klimaerwärmung könne alles in die Tiefe rutschen.
23 Ausgelatschte Wege und Geheimtipps
Wie man einsame Pfade findet
So mancher Wanderer ist ein verkappter Bergsteiger. Als Reinhold Messner seine Großtaten vollbrachte, war ich ein kleiner Junge, der sich einmal pro Woche beim Arzt seine Spritze gegen die Zivilisationskrankheit Heuschnupfen abholen musste. Regelmäßig las ich damals im »Stern« die Reportagen über Messners Achttausender, über den Everest, den Nanga Parbat oder den K2. Lange im Wartezimmer sitzen musste ich nicht, sodass ich artig die Sprechstundenhilfe fragte, ob ich mir die Seiten herausreißen dürfe, immerhin wollte ich Bergsteiger werden. Dass ich nur ein Wandersmann geworden bin, ist nicht weiter tragisch. Schließlich haben mir große Bergsteiger dafür den theoretischen Überbau, die Argumente geliefert – und obendrein ein gutes Gewissen gegenüber den Träumen des kleinen Jungen. Der große Reinhold Messner war es, der sinngemäß sagte, die Mensch heit werde den Planeten verlassen, lerne sie nicht wieder zu Fuß zu gehen. Von Klettern ist in diesem Zitat nicht die Rede. Messner begegnete mir übrigens einmal leibhaftig auf der Tabarettahütte in Südtirol unterhalb des Ortlers, wo er sich angeblich oft herumtreibt. Er saß dort und trank mit einigen anderen älteren Herren Kaffee. Nein, ich habe mir kein Autogramm geholt, ich habe das Idol meiner Kindheit und Jugend auch nicht angesprochen. Der Mann sollte seine Ruhe haben, gerade hier am Berg! Meine Frau schoss jedoch ein Foto von mir und Messner. Er am linken Bildrand, leicht verschwommen, aber so eindeutig zu identifizieren wie ein Yeti, ich am rechten Bildrand, an der Brüstung der Terrasse angelehnt, kaum zu erkennen, weil der Schatten meines Hutes das Gesicht verdunkelte. Wobei es – am Rande bemerkt – Reinhold Messner war, der den Schneemenschen entzauberte: Um den gemeinen Tibetbär soll es sich beim Yeti handeln, dem Ursus arctos pruinosus, ein großer, seltener und in Mitteleuropa – wen wundert’s, angesichts von Problembären – unbekannter Braunbär.
Ebenfalls ein prima Bergsteiger war Toni Hiebeler, er war auch einer der wenigen ernst zu nehmenden Alpinschriftsteller. Der Wintererstdurchsteiger der Eigernordwand kam tragischerweise 1984 im Alter von 54 Jahren bei einem Hubschrauberabsturz in Slowenien ums Leben. Hiebelers Bücher waren die ersten Bergbücher meiner Kindheit. Elf oder zwölf Jahre war ich alt, als ich »SOS in Fels und Eis« las, mit dreizehn Jahren verschlang ich den Band »Faszination Berg zwischen Alpen und Himalaya.« Dort ist ein Satz zu finden, den ich nicht vergessen habe: »Ich lernte Bergwanderer kennen, in denen ich mehr den Alpinisten entdeckte als in vielen Kletterern, die sich in den schwierigsten Steilwänden der Alpen auskennen.« Damit war klar: Ich musste, wollte ich ein anständiger Alpinist sein, nicht
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