Die Wanderbibel
schlicht als überlaufen bezeichnet werden muss, vor allem im August und in schneereichen Wintern. Zumal die Slowenen wohl das einzige europäische Volk sind, das einen Berg zum Nationalheiligtum erklärt hat, nämlich ihren höchsten Gipfel, den Triglav, mit 2864 Metern noch niedriger als die Zugspitze – kein Deutscher käme je auf die Idee, die Zugspitze zu verehren, wo es doch Franz Beckenbauer gibt.
Der Triglav findet sich nicht nur im Nationalwappen Sloweniens und auf deren Fünfzig-Cent-Münze, nein: den Triglav soll jeder Slowene mindestens einmal in seinem Leben bestiegen haben. An Wochenenden im Hochsommer wandern mitunter bis zu tausend Einheimische auf den gar nicht so anspruchslosen Gipfel. Die slowenischen Bergpatrioten singen – zumindest bei Beginn der Wanderung – ihre Nationalhymne und trinken selbst gebrannten Schnaps. Wir haben ihn mehrfach probiert, ja probieren müssen und immerhin keine bleibenden Schäden davongetragen. Ein guter deutscher Obstler erinnert zumindest von Ferne an eine Frucht, die slowenische Variante ist eine Mischung aus Strohrum und Wodka Gorbatschow, hat aber deutlich mehr Alkohol. Ein Slowene, der zum ersten Mal in seinem Leben auf dem Gipfel des Triglavs angekommen ist, bekommt übrigens von einem »alten Hasen« mehrere Schläge auf den Hintern; zwischen den Hieben wird natürlich Schnaps getrunken. Die Herkunft des Brauches ist nicht bekannt.
Allein aufgrund der Masse malträtieren die Wanderer den Felsriesen so sehr, dass einige Passagen in Gipfelnähe künstlich aufgeraut werden mussten – auf den glatt getretenen Felsen bestand erhebliche Rutschgefahr. Der Triglav dürfte also der meistbestiegene Berg der Alpen sein. Dass man dort auch kuriosen Gipfelstürmern begegnet, sei nur am Rande erwähnt. Etwa jenem jungen Mann, der mit offenen Turnschuhen ohne Schnürsenkel seinem Nationalheiligtum zu Leibe rückte und dabei seine Großmutter buchstäblich im Schlepptau hatte: Um deren Hüfte hatte er ein gut abgelagertes Hanfseil geknotet, dessen anderes Ende er in einer Hand festhielt – normalerweise führt man so Kühe auf die Alm.
Dass die bergbegeisterten Slowenen ihre zahlreichen Wasserfälle und Seen bevölkern, ist klar. Dass seit der Grenzöffnung und dem Beitritt des Landes zur EU auch die italienischen und österreichischen Nachbarn diese perfekte Alpenminiaturwelt heimsuchen, ebenso.
Wer Ruhe und Beschaulichkeit sucht, ja Geheimtipps, der sollte den Triglav-Nationalpark meiden, erst recht nicht die anspruchsvolle Fünftagestour durch diesen unternehmen. Es wird gerne vergessen, dass Slowenien im Norden von den Karawanken begrenzt wird, die allerdings ebenfalls mindestens zwei überlaufene Gipfel aufweisen, und zwar vor allem deshalb, weil sie auch von Österreich her leicht zu erreichen sind. Nein, der Geheimtipp schlechthin sind die unscheinbaren, nicht einmal 2000 Meter hohen Gipfel zwischen dem markanten Kegel des Mittagskogels, slowenisch Kepa, und dem höchs ten Karawankenberg, dem Hochstuhl (Stol, 2238 Meter). Zum Beispiel der Kahlkogel, die Golica, gerade 1836 Meter hoch, auf den man von dem Dorf Planina pod Golico in der Nähe der Industriestadt Jesenice aus wandert. Spektakulär ist natürlich der Ausblick auf die Julier, der Weitblick in die Hohen Tauern bis zum Großglockner und der Tiefblick zu den Kärntner Seen – das Panorama von der Karawankenkette zwischen Kepa und Stol gehört zu den schönsten im ganzen Alpenraum. Ende Mai – eine Jahreszeit, die man ansonsten für Alpenwanderungen nicht unbedingt empfiehlt – ist es auf dem Kahlkogel eindeutig am schönsten, denn dann blühen dort Millionen wilde Narzissen, angeblich mehr als irgendwo sonst in Mitteleuropa.
24 Vom alten Goethe zu den Base-Jumpern
Zu Besuch bei den spektakulärsten Wasserfällen Europas
Wirklich rufen hat den Berg noch niemand gehört. Dafür das Rauschen der Wasserfälle, und weshalb soll man immer auf die Berge steigen, wenn man doch recht einfach auch zu schönen Wasserfällen wandern kann? Zu den größten touristischen Attraktionen Österreichs gehört etwa der »Krimmler Wasserfallweg«. In drei großen Kaskaden stürzt die Krimmler Ache insgesamt 380 Meter in die Tiefe. In der Nähe des Gletscherbaches, der in die Salzach mündet, führte schon im Hochmittelalter ein Saumweg entlang der Wasserfälle über den Krimmler-Tauern-Pass nach Italien. Heute kann der halbwegs ausdauernde Wanderer gegen zwei Euro Unterhaltsgebühr den vier Kilometer langen
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