Die Wanderhure
mit dir verfahren ist. Einige Ratsleute haben beim kaiserlichen Vogt gegen deine schnelle Verurteilung vor dem Dominikanergericht protestiert, da dein Vater die vollen Bürgerrechte besaß und das Urteil daher vom Rat der Stadt hätte bestätigt werden müssen. Aber von offizieller Seite wurde nichts mehr unternommen, weil dein Vater noch am Tag deiner Vertreibung verschwunden ist. Man sagte mir, er sei dir gefolgt, um dich in ein Kloster außerhalb des Machtbereichs des Konstanzer Bischofs zu bringen. Andere haben jedoch steif und fest behauptet, er sei ins heilige Land gezogen, um dort für die Vergebung deinerSünden zu beten. Zu guter Letzt hat mir ein versoffener Schafscherer namens Anselm für zwei Becher Wein eine Geschichte erzählt, die ich für die wahrscheinlichste halte. Ein paar Tage nach deiner Vertreibung will er dem Totengräber geholfen haben, einen Leichnam auf dem Armenfriedhof zu verscharren. Der Tote war nur in ein Tuch gewickelt, und als sie ihn in die Grube geworfen haben, ist es verrutscht, so dass der Schafscherer den Toten erkennen konnte. Anselm schwor mir bei allen Heiligen, dass es Matthis Schärer gewesen sei, dein Vater.«
Das kam nicht unerwartet. Marie senkte den Kopf und wartete auf die Tränen, die jetzt kommen mussten, doch ihre Augen blieben trocken. Beinahe unbeteiligt hörte sie zu, wie Giso seiner Herrin, die neugierig näher getreten war, von dem ungewöhnlich schnellen Prozess gegen Marie und der sofort daran anschließenden Aburteilung berichtete. Ebenso nahm sie die Tatsache auf, dass Ruppert das gesamte Eigentum ihres Vaters beansprucht und zugesprochen bekommen hatte. Der Magister hatte auch einige Prozesse gegen ihren Onkel Mombert gewonnen, der sich der unverschämten Aneignung des Besitzes widersetzt hatte.
»Ich halte das Ganze für ein übles Schurkenstück des Keilburger Bastards«, schloss Giso seine Ausführungen. Dabei sah er so grimmig aus, als wolle er den Magister am liebsten eigenhändig erwürgen.
Frau Mechthild strich Marie über den Kopf. »Ich bin dir zu Dank verpflichtet, Mädchen, denn jetzt weiß ich, mit was für einem üblen Patron wir es zu tun haben, und überdies habe ich die Gewissheit, dass wir unsere Sache bald vor den Kaiser bringen können. Dir aber spreche ich mein Beileid zum Tod deines Vaters aus. Dieser Teufelsadvokat dürfte ihn auf dem Gewissen haben, selbst wenn er nicht persönlich Hand an ihn gelegt hat.«
Marie dankte ihr mit einigen höflichen Floskeln, doch mit den Gedanken war sie bei jenem Tag vor drei Jahren, an dem sie Utz’ Worte gehört und sein Gesicht gesehen hatte. Damals war ihrklar geworden, dass sie ihren Vater nie wieder sehen würde. Jetzt aber konnte sie sich mit ihm aussöhnen und ihn stumm um Verzeihung bitten, weil sie ihm zugetraut hatte, sie im Stich zu lassen. Trotzdem wollte sich keine Trauer einstellen. Alles, was sie empfand, war ein mörderischer Hass auf alle, die ihren Vater in den Tod getrieben und sie dem Elend preisgegeben hatten.
»Ruppert wohnt nun im Haus meines Vaters und spielt den großen Herrn«, sagte sie bitter.
Giso nickte mitleidig. »Das ist so, leider Gottes. Er ist ein angesehener Bürger der Stadt Konstanz geworden und steht hoch in der Gunst des neuen Bischofs. Er soll wohl auch eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung des Konzils spielen.«
Frau Mechthild warf den Kopf in den Nacken. »Dann sieht es vielleicht doch nicht so gut für uns aus, wie ich gehofft habe. Wenn er so gut angeschrieben ist, kann er den Kaiser möglicherweise dazu bringen, das Testament anzuerkennen, das Graf Keilburg ihm vorlegt. Ich wünschte, wir könnten mit dem Onkel meines Mannes reden. Ritter Otmar wollte eigentlich in das Kloster St. Ottilien eintreten, aber dort ist er nie aufgetaucht.«
Giso fletschte die Zähne. »Vielleicht hat Graf Konrad ihn umbringen lassen.«
Frau Mechthild bekreuzigte sich. »Das verhüte Gott. Ich fürchte, es war ein Fehler von mir, meinen Gemahl von einem Bündnis mit dem Keilburger abzuhalten.«
Giso machte eine Geste heftigen Abscheus. »Wenn Graf Konrad sich eines solchen Schurken wie Magister Ruppertus bedient, wäre es eine Sünde vor Gott, sich mit ihm verbünden zu wollen.«
»Ich kann nur hoffen, dass mein Gemahl es ebenso sieht«, antwortete Frau Mechthild mit leichtem Bangen.
Marie wagte es, die Hand der Burgherrin zu drücken, und freute sich, weil sie sie ihr nicht entzog. »Der Herr liebt Euch sehr und wird nie etwas Böses gegen Euch sagen, vor allem
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