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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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wir doch noch unsere Würde. Wenn wir uns die nicht bewahren, enden wir wirklich als Dreck.«
    Hiltrud blickte nachdenklich auf die sanft gekräuselten Wellen des Sees hinaus. »Wir hätten nicht nach Arnstein gehen sollen. Dort habe ich gesehen, auf wie viel ich verzichten muss, weil meinem Vater die Münzen eines Hurentreibers lieber waren als sein eigenes Kind. Selbst die niedersten Leibeigenen dort haben es besser als wir.«
    »Du solltest nicht über das nachdenken, was einmal war, und auch nicht darüber, was einmal sein wird«, antwortete jemand an Maries Stelle.
    Hiltrud und Marie blickten auf und sahen Gerlind hinter sich stehen. Sie grinste sie mit ihrem zahnlosen Mund an, der einer schwarzen Höhle glich, aber ihre Stimme klang bitter.
    Marie verstand, was Gerlind meinte. Die alte Hure hatte von einem friedlichen Ort geträumt, an dem sie die letzten Jahre ihres Lebens in Ruhe und einer bescheidenen Gemütlichkeit verbringen konnte, doch als sie ihr Ziel erreicht hatte, war sie mit Gewalt auf die Straße zurückgestoßen worden. Marie wollte ihr schon etwas Tröstendes sagen, als Gerlind ihren Stock hob. »Etwas will ich von vorneherein klarstellen. Die Anführerin unserer Gruppe bin ich.« Gerlind sah dabei weniger Hiltrud an als Marie, und ihre Stimme klang keifend. »Ich habe von Berta gehört, dass du diesen Winter als Bettwärmerin eines hohen Herrn verbracht hast. Versuche ja nicht, irgendwelche Ansprüche daraus abzuleiten. Du bist deswegen nicht mehr wert als jede andere Hure und wirst dich uns anpassen müssen.«
    Marie begriff, dass die alte Hure ihr ihren Erfolg neidete. Das war nicht mehr die Gerlind, die sie vor knapp vier Jahren kennen gelernt hatte, sondern eine von Missgunst zerfressene alte Vettel. Am liebsten hätte Marie ihr ein paar harte Worte gesagt, doch sie wusste, dass sie vorerst alles tun musste, um Streit zu vermeiden.
    »Weder Hiltrud noch ich machen dir dein Recht als Anführerin streitig. Da wir in den nächsten Tagen Wandergefährtinnen sind, sollten wir uns vertragen.«
    Gerlind lächelte so selbstzufrieden, dass sich ihr Gesicht in tausend Falten legte. »Gut, dass du das einsiehst. Aber bevor wir euch erlauben, uns zu begleiten, muss ich euch noch etwas mitteilen. Wir vier, Berta, Fita, Märthe und ich, haben beschlossen, ein Viertel dessen, was wir verdienen, in eine gemeinsame Reisekassezu geben, die ich verwalte. Wenn ihr mitkommen wollt, müsst ihr das ebenfalls tun.«
    Das war Erpressung. Gerlind wusste, dass zwei Huren, die allein wanderten, nicht ungeschoren bis zum nächsten Markt kommen würden, und nützte das aus. Hiltrud wollte wütend auffahren, biss sich jedoch auf die Lippen und starrte ins Wasser. Marie lag ebenfalls eine bissige Bemerkung auf der Zunge. Da Hiltrud und sie um einiges mehr verdienten als die anderen zusammen, ging diese Abmachung allein auf ihre Kosten.
    Gerlind schwenkte ihren Stock. »Ich bin noch nicht fertig. Wir haben uns ebenfalls darauf geeinigt, bis zum Herbst zusammenzubleiben. Denkt also nicht, dass ihr euch bei nächster Gelegenheit verabschieden könnt. Wir würden allen anderen Huren erzählen, was für heimtückische und betrügerische Weiber ihr seid, so dass euch keine mehr als Reisegenossinnen akzeptieren wird.« Marie sah Hiltrud fragend an. Gerlinds Absicht war offensichtlich. Die alte Hure wusste, dass sie und ihre Begleiterinnen nur mit Mühe genug verdienen konnten, um über den nächsten Winter zu kommen. Deswegen wollte sie sich zwei Milchkühe sichern, die sie nach Belieben melken konnte.
    »Es sieht so aus, als müssten wir auf deine Bedingungen eingehen, Gerlind. Denke jedoch nicht, dass wir uns darüber freuen.« Hiltrud maß die alte Hure mit einem verächtlichen Blick, wandte ihr dann den Rücken zu und streichelte ihre Ziegen.
    Gerlind beachtete die einstige Freundin nicht, sondern schob sich näher an Marie heran und griff nach ihr, als wollte sie sie ausschütteln. »Wie war das denn auf dieser Burg? Hast du viel verdient?«
    Marie schob die krallenartig gebogenen Hände beiseite und schüttelte den Kopf. »Freies Essen und Trinken und ein paar Schillinge zum Abschied, das war alles.« Es stimmte nicht ganz, denn Frau Mechthilds Belohnung würde immerhin die Miete einer einfachen Kate und die Lebensmittel für den nächsten Winterabdecken, und neben ihren Ersparnissen aus dem letzten Jahr besaß sie noch die Hirschgulden des Württembergers. Sie sah jedoch keinen Grund, Gerlind das auf die Nase zu

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