Die Wanderhure
binden.
Mittlerweile hatte sich auch Märthe zu der kleinen Gruppe gesellt. »Ich war eben in der Kirche«, erzählte sie mit entrücktem Blick. »Sie ist wirklich wunderschön. Der Altar ist festlich geschmückt, und das Bildnis der Heiligen Madonna hat mir das Gefühl gegeben, als müsse sie jeden Augenblick von ihrem Podest herabsteigen und einen umarmen.«
Marie sah verwundert auf. »Wie bist du in die Kirche hineingekommen? Mich hat ein Mönch am Portal abgewiesen.«
»Nun ja, der ehrwürdige Bruder, der dort stand, sagte mir auch, dass es nicht schicklich sei, wenn eine Hure die Pforte eines heiligen Hauses durchschreitet. Er war aber so freundlich, mich durch die Sakristei einzulassen.«
»Was hast du ihm dafür bezahlt?«
Märthe lächelte Marie selig an. »Wir sind ein paar Augenblicke in der Sakristei geblieben, seine Lendenpein zu lindern. Auch das ist ein gottgefälliges Werk.«
Marie fragte sich, ob Märthe wirklich so dumm war, das zu glauben, oder auf ihre Weise ähnlich fromm wie Fita. Die hätte den Mönchen eines ganzen Klosters gedient, nur um vor dem Bildnis der Mutter Gottes beten zu dürfen.
Märthe stieß Marie mit dem Fuß an. »Übrigens hat der fromme Bruder einen Gruß an dich ausrichten lassen. Er sagte, du könntest jederzeit zu ihm kommen, wenn keine Wallfahrer seine Aufmerksamkeit beanspruchen. Er wird auch dich zum Lohn für deine Willfährigkeit in die Kirche lassen.«
Marie schüttelte abwehrend den Kopf. »Was soll ich dort? Da du den Mönch bereits von seiner Lendenpein befreit hast, sind meine Dienste nicht mehr vonnöten.«
»Er wird einen anderen frommen Bruder holen, der seine Heiligkeit in dich ergießen kann.«
Marie ballte eine Hand zur Faust. Diese Märthe war nicht nur dumm, sondern auch aufdringlich wie eine Schmeißfliege. Sie schluckte einiges herunter, das ihr auf der Zunge lag, und erklärte dem Mädchen noch einmal, dass sie nicht vorhatte, zur Kirche zu gehen.
Märthe stampfte mit dem Fuß auf. »Da werden die frommen Brüder aber sehr enttäuscht sein.«
Das kann ich mir denken, dachte Marie spöttisch. Wahrscheinlich litten die Mönche an diesem abgelegenen Ort unter einem Mangel an willigen Frauen. Eine gefällige Hure, die ihren Sprüchen glaubte, kam ihnen da gerade recht.
IV.
A m nächsten Morgen kam auch für die Huren der Abschied von St. Marien am Stein. Fita und Märthe eilten noch einmal zu dem wuchtigen Bauwerk, um seine Mauern zu küssen. Da sie längere Zeit ausblieben, waren sie, wie Marie vermutete, wohl auf ein paar an Lendenpein leidende Mönche gestoßen. Marie amüsierte sich über diesen Begriff. Ihrer Ansicht nach litten die meisten Männer unter dieser Krankheit, sonst gäbe es keine Huren. Da die anderen ihre Zelte bereits abgebaut hatten, mussten Märthe und Fita sich beeilen. Ihr geringer Besitz war jedoch rasch verstaut, und die Gruppe konnte kurz danach aufbrechen. Auf der ersten Anhöhe drehte Marie sich noch einmal um und blickte auf den See und die Kirche hinunter.
Von oben wirkte die Wallfahrtsstätte so, wie sie sich als Kind den Himmel vorgestellt hatte, ruhig, friedlich und unberührt von Menschenhand wie eine Wohnstätte der Engel. Die Weidenbäume am Seeufer leuchteten weiß in der Pracht ihrer Kätzchen, und von der Kirchturmspitze wehte noch immer die Wallfahrtsfahne. Etwas seitlich der Halbinsel, die das Kirchlein trug, lag dasKloster. Mit seinen festen Mauern und den kleinen, schießschartenähnlichen Fenstern glich es eher einer Burg. So nannten es die Mönche auch, eine Burg des Glaubens. Marie fragte sich, welchem der drei regierenden Päpste diese Ordensmänner gehorchen mochten, dem in Rom, dem in Avignon oder dem dritten, der seinen Wohnsitz in Pisa aufgeschlagen hatte. Ganz gleich, wem sie anhingen, sie nahmen ihren Gehorsam der Kirche gegenüber nicht so ernst wie ihre eigenen Bedürfnisse, so als gäbe es die Hölle, die sie im Munde führten, nur für andere.
Marie dachte daran, dass für den Herbst ein großes Konzil nach Konstanz einberufen worden war. Vielleicht würde dort wirklich ein Sturmwind entfacht werden, der die verderbten Mönche und Pfaffen hinwegfegte, welche sich Diener Gottes nannten, aber nur ihr eigenes Wohl im Sinn hatten, und die für jene, denen vom Schicksal ein hartes Los beschieden worden war, statt Trost nur Häme und böse Worte übrig hatten.
»Denkst du schon wieder an deinen Bräutigam?« Seltsamerweise klang Hiltruds Stimme diesmal nicht spöttisch. Ihr Gesicht wirkte
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