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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Trauer auf.
    Hedwig kniff die Augen zusammen und versuchte, eine Ähnlichkeit zwischen dem schlanken, kräftigen Kriegsmann und dem schon arg in die Breite gegangenen Wirt in der Katzgasse zu finden, konnte aber nur feststellen, dass Michel um einiges besser aussah als sein Bruder. Sie hakte sich bei ihm unter und ließ sich zum Schottentor führen.
    Mittlerweile war es auf den Straßen der Stadt lebendig geworden, und manch neugieriger Blick traf die beiden. Einige Matronen rümpften die Nasen und steckten die Köpfe zusammen.
    »Diese Hedwig ist auch nicht besser als ihre Base. Sie lässt sich sogar offen mit ihrem Liebhaber sehen«, sagte eine von ihnen mit lauter Stimme, die eine gehörige Portion Neid verriet.
    »Auf alle Fälle hat sie einen besseren Geschmack als Marie, die ihre Röcke für einen schmutzigen Fuhrknecht gehoben hat. So ein schmucker Kriegsmann könnte mir auch gefallen«, erwiderte eine andere ungeniert.
    Für kurze Zeit unterhielten die Frauen sich über jene Ereignisse vor fünf Jahren, doch als ein junger Edelmann in juwelenbesetzter Tracht und unverschämt kurzem Wams vorbeikam, waren Hedwig und ihr Begleiter vergessen.

III.
    D ie Meisterin lässt fragen, ob Ihr Hedwig gesehen habt, Meister.«
    Mombert Flühi schüttelte nachsichtig den Kopf, denn die Stimme seines Gesellen hatte so besorgt geklungen, als frage er nach seiner Schwester oder gar seiner Braut. »Nein, Wilmar, ich habe meine Tochter heute noch nicht gesehen. Hoffentlich hat sie sich nicht allein aus dem Haus gestohlen.«
    Wilmar eilte an das kleine Fenster, dessen Butzenscheiben gerade so viel Licht hereinließen, dass man in diesem Teil der Werkstatt ohne Kienspan arbeiten konnte, und blickte suchend hinaus. »Sie kann keine Magd mitgenommen haben, denn die sind alle bei der Meisterin. Gott im Himmel, wie kann Hedwig nur so leichtsinnig sein!«
    Mombert Flühi sah Wilmar an, dass der junge Mann vor Angst um seine Tochter fast verging, und hob hilflos die Hände. Amliebsten hätte er ihm gesagt, dass man ein Mädchen von siebzehn nicht Tag und Nacht in einer Kammer einsperren konnte, auch nicht in einer Zeit, in der sie noch nicht einmal im eigenen Elternhaus sicher war. Wilmar hatte ihm erzählt, dass der Abt des Klosters Waldkron ein Auge auf Hedwig geworfen hatte und ihr nachstellte wie ein verliebter Jüngling. Aber er konnte nichts gegen den hochgeborenen Herrn tun, ebenso wenig wie gegen den adligen Untermieter, den er in sein Haus hatte aufnehmen müssen. Philipp von Steinzell hatte Hedwig einige Male aufgelauert und sie zu küssen versucht. Einmal war er sogar schon drauf und dran gewesen, sie mit Gewalt in seine Kammer zu schleppen, doch zum Glück hatte Wilmar Hedwig gerettet, indem er dem Junker vorlog, jemand warte auf der Straße auf ihn.
    Mombert Flühi hörte, wie Wilmar mit den Zähnen knirschte, und vermutete, dass sein Geselle an die gleiche Szene dachte. Der junge Mann zog dabei ein Gesicht, als würde er am liebsten nach oben laufen, den Ritter aus seiner Kammer zerren und ihn die Treppe hinunterwerfen. Vielleicht dachte er auch an den aufgeblasenen Abt, der alle Menschen unter seinem Stand wie Leibeigene behandelte. Mombert schwor sich, Philipp von Steinzell nach dem nächsten Vorfall vor die Tür zu setzen, auch wenn er Probleme mit dem Rat der Stadt bekommen würde, der gezwungen worden war, den Standesherren und dem hohen Klerus Quartiere zu schaffen. Aber das war er seiner Tochter und dem Frieden in seinem Haus schuldig. Gleichzeitig nahm er sich vor, sich in den nächsten Tagen noch einmal beim Quartiermeister seines Viertels zu beschweren und ihn so lange zu bearbeiten, bis er ihm die Erlaubnis gab, den selbstherrlichen Ritter aus dem Haus zu weisen.
    Wilmar blickte seinen Meister vorwurfsvoll an. »Ihr hättet Hedwig nicht gehen lassen dürfen.«
    Mombert fuhr auf. »Hätte ich sie festbinden sollen? Wahrscheinlich ist sie in aller Frühe zum Armenfriedhof gegangen, um fürMarie zu beten, denn heute ist ja ihr Gedenktag. Wenn ich daran gedacht hätte, wäre ich mit ihr gegangen.«
    Er wischte sich über die Augen und schob das Fass, an dem er gerade arbeitete, beiseite. »Mach hier weiter, Wilmar. Ich muss mir ein wenig die Beine vertreten.«
    Wilmar atmete erleichtert auf, denn er wusste, dass Mombert Flühi nach Hedwig Ausschau halten wollte, und nahm seinen Platz ein. Während er sich wieder seiner Arbeit zuwandte, erschienen kurz hintereinander die drei Lehrlinge. Da sie wieder einmal zu spät

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