Die Wanderhure
»Leider gar nichts. Und denke nicht, ich hätte mir keine Mühe gegeben. Zunächst bin ja auch ich auf das Gerücht hereingefallen, mein Schwager sei ihr gefolgt. Das hat er mir nämlich gesagt, bevor er verschwand. Als ich eine Weile nichts von ihm gehört hatte und andere Gerüchte aufkamen, wurde ich misstrauisch und begann selbst nach ihm und Marie zu suchen, doch ohne Erfolg. Von Marie gab es keine Spur mehr, und Matthis war längst wie ein Hund verscharrt worden.«
Michel beugte sich interessiert vor. »Als du misstrauisch wurdest? Wie kam das?«
»Mein Schwager hätte mir früher oder später einen Boten geschickt, um mir mitzuteilen, wie seine Sache steht, denn er hatte ja seine Geschäfte nicht geordnet und hätte sich denken können, dass die Leute mit Fragen zu mir kommen. Wie gesagt, da war ich noch überzeugt, er hätte Konstanz verlassen. Aber dann gab es Gerüchte, die mich veranlassten, etwas gegen den Mann zu unternehmen, der jetzt in seinem Haus sitzt. Als ich hörte, dass der Schafscherer Anselm einem Fremden erzählt haben soll, er hätte geholfen, Matthis Schärer auf dem Armenfriedhof zu begraben, wusste ich, dass ich Recht gehabt hatte, auch wenn es mir nichts als Ärger eingebracht hat.«
»Hedwig sagte schon, dass Meister Matthis tot sein soll. Was kann ihm zugestoßen sein?«
»Kurz nachdem Anselm behauptet hatte, meinen Schwager unter die Erde gebracht zu haben, fiel er ins Wasser und ertrank. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, mögen die Leute sagen, weil der arme Kerl zuletzt ständig betrunken herumgetorkelt ist. Aber es ist doch eigenartig, dass der Mann, der meinen Schwager und sein Kind ins Unglück gestürzt hat, über dessen gesamten Besitz verfügt, ohne dass Matthis selbst dagegen Einspruch hat erheben können.«
Mombert seufzte tief und war froh, dass seine Frau mit dem Wein und der Brotzeit hereinkam. Er hatte schon viel zu viel gesagt und einen weiteren Prozess konnte er sich nicht mehr leisten. Als die Becher gefüllt waren, fragte er Michel nach seinen Erlebnissen.
Michel winkte ab. »Mein Leben ist wenig aufregend verlaufen. Ich war Marie bis zum Rhein gefolgt, ohne sie zu finden. Da ich nicht mehr zu meinem Vater zurückkehren wollte, heuerte ich auf einem rheinabwärts fahrenden Schiff an. Als der Kahn die Neckarmündung erreichte, stießen hinter uns zwei Schiffe zusammen, eines, das den Rhein hochfuhr, und eines, das aus dem Neckar kam. Es ging glimpflich ab, denn keines von ihnen sank. Nur auf dem Neckarschiff stürzte ein Knabe, der an der Bordwand gestanden hatte, ins Wasser. Die Strömung trieb ihn auf unseren Kahn zu. Ich bekam ihn zu fassen und zog ihn aus dem Wasser, ohne zu ahnen, dass ich einen Goldfisch geangelt hatte.«
Michel trank einen Schluck Wein und schüttelte lachend den Kopf, als könne er heute noch nicht begreifen, was ihm widerfahren war. »Der Junge war der Neffe des Pfalzgrafen am Rhein. Herr Ludwig dankte mir überschwänglich und ließ mir so viel Gold geben, wie ich mein Lebtag noch nicht auf einem Haufen gesehen hatte. Der Hauptmann seiner Wachen lud mich im Hafen, in dem wir nach dem Zwischenfall angelegt hatten, zum Wein ein und hörte sich meine Geschichte an. Ich erzählte ihmnatürlich von Marie, und er schlug mir vor, Soldat zu werden. Er meinte, als Dienstmann des Pfalzgrafen käme ich weiter in der Welt herum als ein Rheinschiffer, der nur den Strom auf und ab fährt.«
»Und du hast angenommen?«, fragte Mombert neugierig.
»Ich war so betrunken, dass ich heute noch nicht weiß, was ich ihm geantwortet habe«, gab Michel zu. »Am nächsten Morgen wachte ich auf der Barke des Grafen auf und wunderte mich. Aber die Sache hat ein gutes Ende genommen.«
»Bist du zum Ritter geschlagen geworden?«, fragte Mombert aufgeregt. In den Ritterstand erhoben zu werden war der größte Wunsch vieler Männer, die den hohen Geschlechtern von Konstanz angehörten, doch nur wenigen wurde diese Gnade zuteil.
»Nein, bis zum Ritter habe ich es noch nicht geschafft. Aber immerhin bin ich Hauptmann einer Rotte Fußknechte und werde es, wenn mir das Glück treu bleibt und mein Herr mir weiterhin gewogen bleibt, zum Burgvogt oder gar zu einem Burghauptmann bringen.«
Michel klang so selbstbewusst und stolz, dass Mombert ein wenig neidisch wurde. Der schmächtige Junge von damals hatte sein Glück am Zipfel gepackt und war vom nachgeborenen Sohn eines einfachen Schankwirts zum Offizier eines der angesehensten Männer des Reiches aufgestiegen.
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