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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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würde als gottesfürchtige Einsiedlerin in einer Klause leben, und die wilden Tiere des Waldes kämen vertrauensvoll zu ihr wie zu einer Heiligen.
    Als Hedwig eilige Schritte auf dem kiesbedeckten Weg vernahm, der vom Paradiesertor zur Armengrablege führte, zog sie sich hinter dürres Gestrüpp zurück und starrte in den Nebel, um herauszufinden, wer sich da näherte. Beim Anblick des fetten Abtes, der in seiner wehenden weißen Soutane wie ein blutdürstiges Gespenst auf sie wirkte, sah sie sich nach einem Fluchtweg um.
    Hugo von Waldkron war Gast im Haus ihres Feindes Ruppertus Splendidus. Der Kirchenmann stellte ihr schon seit einigen Wochen nach, doch bislang hatte sie ihm jedes Mal rechtzeitig ausweichen können. Das hatte sie Jula, der Tochter einer Nachbarin, zu verdanken, welche bei Ruppertus Splendidus als Magd arbeitete. Die hatte sie vor dem Waldkroner gewarnt. Wenn dieserMann eine Frau besitzen wolle, so hatte sie berichtet, ließe er kein Nein gelten, sondern nehme sie notfalls auch mit Gewalt.
    Hedwig geriet in Panik, denn es hieß auch, der Abt besäße trotz seines beträchtlichen Wanstes Bärenkräfte. Wenn er sie zu fassen bekam, würde er ihr Gewalt antun, und dann erginge es ihr ebenso wie Marie. Um diese Zeit würde kaum jemand ihre Hilferufe hören, und wenn doch jemand auftauchte, wäre er kaum bereit, sich den Zorn eines so einflussreichen Mannes zuzuziehen. »Vergebt mir, Onkel Matthis, Marie, dass ich heute nicht an eurem Grab beten kann.« Hedwig sah, wie der Abt sich umdrehte, als habe er ein Geräusch gehört, schob rasch ihre Blumen auf das Grab und rannte über den hinteren Teil des Armenfriedhofs auf die Hecke zu, die den Anger umgab. Die war an dieser Seite um einiges dichter als auf die Stadt zu, doch auch hier gab es Lücken, durch die ein schlankes Geschöpf wie sie sich den Weg bahnen konnte. Dafür musste sie nur lange genug unbeobachtet bleiben. Sie zog sich vorsichtig hinter ein paar Sträucher zurück, duckte sich tief auf den Boden und beobachtete, wie der Abt nun zielstrebig auf Matthis Schärers Grab zueilte. Irgendjemand musste ihm gesagt haben, dass sie am Namenstag ihrer Base dort zu beten pflegte, und ihm den Weg genau beschrieben haben.
    Hedwig beobachtete, dass der Mann sich umsah und nach einigen Augenblicken zum Eingang zurücklief. Rasch zwängte sie sich vorsichtig durch die Hecke und hastete davon. Sie nahm an, dass der Abt das Paradiesertor noch eine Weile im Auge behalten würde, und lief auf den Rhein zu, um durch das Schottentor nach Hause zurückzukehren.
    In ihrer Furcht, der Abt könnte sie im letzten Moment entdeckt haben und sie verfolgen, drehte sie sich immer wieder um. Dabei entgingen ihr vier Männer in bunten Kriegstrachten, die vom Rheinufer heraufkamen. Es waren Söldner, wie sie in Konstanz und Umgebung zuhauf herumlungerten und nichts anderes zutun hatten, als auf die Befehle ihrer Hauptleute zu warten. Die vier hatten ihre Quartiere beim Schottenkloster verlassen und waren nun auf dem Weg in die Stadt. Beim Anblick eines weiblichen Wesens johlten sie auf und schwenkten auf sie zu.
    Bevor Hedwig reagieren konnte, hatte einer der Soldaten sie an sich gezogen und fuhr ihr mit der freien Hand unters Brusttuch. »Was haben wir denn da für ein feines Täubchen?«
    »Lasst mich gefälligst los!«, fauchte Hedwig ihn an. »Ich bin keine Hure.«
    Obwohl sie sich mutig gab, starb sie innerlich vor Angst. In der Furcht vor dem liebestollen Abt hatte sie nicht mehr an die Kriegsknechte gedacht, die sich wie ein Heuschreckenschwarm in ihrer Heimatstadt ausgebreitet hatten und den Stadtbütteln wie auch den Konzilswachen des Pfalzgrafen Ludwig, der vom Kaiser mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung beauftragt worden war, das Leben schwer machten. Sie hätte eine Magd mitnehmen sollen, wie es sich für eine brave Bürgerstochter gehörte, fuhr es ihr durch den Kopf. Andererseits sahen die Kerle hier so aus, als würden sie sich sogar an der alten Wina vergreifen, die faltig und grau geworden war und keinen einzigen Zahn mehr besaß.
    Der Mann, der Hedwig festhielt, drehte sich mit ihr zu den anderen herum. »Na, was sagt ihr dazu, Kameraden? Die Kleine ist doch ein appetitlicherer Bissen als die Hure, die wir gestern Abend hatten.«
    Einer seiner Kameraden riss ihr das Tuch vom Kopf und zog an ihren langen, hellblonden Zöpfen. »Das ist sie bestimmt. Ich kann es gar nicht erwarten. Willst du mich diesmal nicht vorlassen, Krispin?«
    Der andere lachte

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