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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Vater. Ich bin doch zum Friedhof gelaufen, um Blumen auf Onkel Matthis’ Grab zu legen und für ihn und Marie zu beten, und da kam der fette Abt hinter mir her. Als ich vor ihm floh,bin ich vier Soldaten in die Hände geraten, die mir Gewalt antun wollten. Hätte Michel mich nicht vor den wüsten Kerlen gerettet, wäre ich bestimmt schon tot.«
    Mombert wurde bleich und hielt sich an Michel fest. »Ist das wahr? Bei Gott, dann bist du ein tapferer Recke, wie es heutzutage keinen zweiten mehr gibt.«
    Michel wurde rot wie ein Mädchen. »Zu viel des Lobs, Mombert. Die vier sind weniger vor mir ausgerissen als vor dem Wappen, das ich trage.«
    »Der Pfälzer Löwe!«, sagte Mombert achtungsvoll. »Du gehörst also zum Gefolge des Pfalzgrafen am Rhein?«
    Michel nickte stolz. »Ich bin einer der Hauptleute seiner Fußsoldaten und wurde mit meinen Männern hierher gerufen, um die Konzilswachen zu verstärken. Unser Schiff hat gestern in Gottlieben angelegt, wo wir Quartier bezogen haben. Da ich meine Heimatstadt wiedersehen wollte, bevor der Dienst losgeht, habe ich mich noch vor Morgengrauen auf den Weg gemacht.«
    »Gott im Himmel sei Dank! Ich will gar nicht daran denken, was meiner Hedwig zugestoßen wäre, wenn du nicht eingegriffen hättest. Sie ist mein einziges Kind, musst du wissen.« Meister Mombert versprach dem heiligen Pelagius in Gedanken eine große Wachskerze, weil er den jungen Kriegsmann zum richtigen Zeitpunkt geschickt hatte.
    Kurz darauf erreichten sie die Hundsgasse, in der Meister Momberts Werkstatt lag. Michel kannte das Anwesen, denn er hatte Mombert Flühi früher häufig das Bier geliefert. Damals war ihm das Haus des Böttchers fast so prächtig vorgekommen wie das von Matthis Schärer. Jetzt fielen ihm die Spuren auf, die die Zeit an den Gebäuden hinterlassen hatte. Die fertigen Fässer im Hof und das für die Weiterverarbeitung abgelagerte Holz, das sich bis zur Decke eines offenen Vorbaus stapelte, verrieten, dass hier eifrig gearbeitet wurde. Dennoch schien Meister Mombert weniger wohlhabend zu sein als früher.
    Das tat jedoch seiner Gastfreundschaft keinen Abbruch. Er öffnete die Haustür, rief nach Frieda, seinem Weib, und stellte ihr den unerwarteten Gast vor. Die Hausfrau verzog zunächst angewidert das Gesicht, als sie einen jungen Mann in der kriegerischen Tracht eines Pfälzer Offiziers vor sich sah, ihre Miene änderte sich jedoch jäh, nachdem ihre Tochter ihr berichtet hatte, dass Michel sie aus großer Gefahr gerettet hätte. Ehe sie sich jedoch um den Gast kümmerte, hielt sie ihrer Tochter eine kräftige Standpauke.
    »Ich hoffe, dieser Zwischenfall wird dir eine Lehre sein«, schloss sie. »Mag dein Vater noch so froh sein um die Fässer, die er binden kann. Mir wäre es lieber, wenn die hohen Herren ihr Konzilium anderswo abhielten.«
    Mombert hob abwehrend die Hände. »So darfst du nicht denken, Frau. Es ist eine hohe Ehre für uns, dass Kaiser Sigismund Konstanz als Ort des Konzils erwählt hat.«
    Seine Frau schnaubte verächtlich. »Es ist wirklich eine hohe Ehre, wenn die Dienstmägde demnächst alle mit dicken Bäuchen herumlaufen, weil sie ihre Tugend für einen halben Groschen an einen Soldaten oder Prälaten verkauft haben.«
    »So schlimm wird es schon nicht werden«, versuchte Mombert sie zu beruhigen. »Es sind genug gefällige Mägde nach Konstanz gekommen, um jeden Gast bedienen zu können. Für die hohen Herren hat man sogar die schönsten Hübschlerinnen aus dem ganzen Reich versammelt. Also muss kein Mädchen und keine Frau aus Konstanz um ihre Tugend bangen.«
    »Ach ja? Und wie war das eben mit Hedwig?«, keifte Frieda.
    »Schurken gibt es überall, auch hier in Konstanz. Erinnere dich nur daran, wie es der armen Marie ergangen ist.«
    »Habt ihr je wieder etwas von eurer Nichte gehört?« Michels Frage erinnerte die Eheleute an ihre Pflichten einem Gast gegenüber und beendete den sich anbahnenden Streit. Hedwigs Mutter eilte in die Küche, um Wein, Wurst und Brot zu holen. Hedwigfolgte ihr, denn sie wollte ihrer Mutter nicht noch mehr Grund geben, mit ihr zu schimpfen. Mombert führte Michel in die gute Stube und wies ihn den Platz am Kopf des Tisches an, auf dem er sonst zu sitzen pflegte.
    »Mein Weib bringt uns gleich einen guten Schluck Wein und einen Happen. Dann kannst du mir berichten, wie es dir ergangen ist.«
    »Ich würde zuerst gerne wissen, was du über Marie erfahren konntest«, erinnerte Michel ihn.
    Mombert hob bedauernd die Hände.

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