Die Wanderhure
Der Böttcher bedauerte, dass Marie das nicht hatte erleben können. Seine Nichte hätte sich bestimmt darüber gefreut. Wieder sah Mombert Maries blutig geschlagene Gestalt vor sich und musste mit den Tränen kämpfen.
In den nächsten Minuten plätscherte das Gespräch vor sich hin. Michel erzählte aus seiner Zeit als Dienstmann des Pfalzgrafen, und Mombert berichtete ihm, was sich in Konstanz zugetragen hatte. Michels Gesicht verfinsterte sich, als er jetzt in allen Einzelheiten erfuhr, wie es Magister Ruppertus gelungen war, Matthis Schärers Besitz in seine Hände zu bringen und Mombertbeinahe zu ruinieren. Da Michel seinem Gastgeber jedoch nicht helfen konnte, wechselte Mombert das Thema und kam auf das Konzil zu sprechen, das die Gemüter des Reiches erregte.
»Ich bin froh, dass du zu den Anführern der Konzilswachen gehörst. Bei so vielen Fremden ist es gut, wenn ein Einheimischer die Ordnung überwacht.«
Michel drehte seinen Weinbecher in der Hand und schien zu überlegen, was er darauf antworten sollte. »Also, direkt zu den Konzilswachen gehören meine Leute und ich nicht.«
Mombert sah ihn verwundert an. »Aber du hast doch gesagt …«
»Dass ich herbefohlen wurde. Aber nicht, um hier in voller Wehr durch die Gassen zu patrouillieren und Frauenzimmer vor betrunkenen Soldknechten oder lüsternen Mönchen zu beschützen. Wir haben eine andere Aufgabe.«
»Welche denn?« Mombert begriff nicht, dass es seinem Gast nicht behagte, darüber zu sprechen.
Michel wurde klar, dass er sich nicht zu geheimnisvoll geben durfte, wenn er keine Gerüchte in die Welt setzen wollte. »Du kennst den Magister Jan Hus?«
Mombert nickte eifrig. »Freilich! Das ist ein braver, gottesfürchtiger Mann. Ich habe ihn einmal predigen gehört. Er drückt genau das aus, was wir einfachen Bürger denken.«
»Das solltest du nicht zu laut sagen. Magister Hus hat sich bei etlichen hohen Herren unbeliebt gemacht. Meine Leute und ich sind hier, um zu verhindern, dass er Konstanz ebenso verstohlen verlässt wie Papst Johannes.«
»Hat es sich schon so weit herumgesprochen, dass der einzige Papst, der dem Ruf des Kaisers gefolgt war, in aller Heimlichkeit abgereist ist?«
Michel lächelte sanft. »Der Pfalzgraf erfährt alles, was in dieser Stadt und dem Bistum passiert. Sonst könnte er seine Pflicht dem Kaiser gegenüber nicht erfüllen. Im Umkreis des Kaisers hat man erwartet, dass Johannes das Weite sucht, nachdem ihm derRücktritt ans Herz gelegt wurde. Wer einmal ganz oben ist, steigt halt nicht so gerne wieder herab.«
Mombert blickte Michel verschwörerisch an. »Gehörst du zu denen, die Papst Johannes zurückbringen sollen?«
»Dann wäre ich nicht mehr hier. Nein, ihm hat der Kaiser seine eigenen Leute nachgesandt. Ich glaube nicht, dass es lange dauern wird, den Papst einzufangen. Jetzt bewegt die hohen Herren mehr die Frage, was mit dem Tiroler Herzog geschehen wird, der Johannes zur Flucht verholfen hat. Gerüchteweise habe ich gehört, dass der Kaiser die Reichsacht über ihn verhängen wird. Dann dürfte der Mann den Spitznamen Friedel mit der leeren Tasche zu Recht tragen.«
Mombert grinste breit und schnipste mit den Fingern. »Das käme mir recht, denn dann könnte ich einen unangenehmen Untermieter loswerden. Philipp von Steinzell ist nämlich ein Lehensmann Friedrichs von Habsburg. Wenn dieser in Reichsacht getan wird, muss auch der Steinzeller Konstanz verlassen.«
Michel runzelte verwundert die Stirn, denn die Stimme seines Gastgebers hatte giftig geklungen. Er wollte schon nachfragen, was es mit diesem Philipp von Steinzell auf sich hatte, als draußen ein Gepolter ertönte, gefolgt von einem unterdrückten Fluch und dem hellen Schrei eines weiblichen Wesens.
Michel sprang auf, doch Mombert war trotz seiner Beleibtheit vor ihm an der Tür und stürmte hinaus. Auf der Treppe stand ein junger Mann in der farbenfrohen Kleidung eines Edelmanns und hielt die heftig strampelnde Hedwig in den Armen. Das Mädchen hatte ein auf einer Stufe abgestelltes Fässchen hinabgestoßen und den Junker gebissen, denn von den Fingern, die auf ihrem Mund lagen, rann Blut. Offensichtlich hatte Philipp von Steinzell Hedwig aufgelauert, um sie in seine Kammer zu zerren. »Du Hundsfott, ich schlage dir den Schädel ein!«, brüllte Mombert so laut, dass man ihn noch auf der Straße hören musste.
Die Drohung schien den Ritter zu erheitern. »Na, komm doch,du Mehlkloß, wenn du dich traust. Ich schwöre dir, ich verabreiche
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